Gerade in Zeiten einer weltweiten Pandemie, in der ein Veränderungsschub im Sinne eines erfolgreichen Krisenmanagements für viele Unternehmen erforderlich ist, lassen derartige Studienergebnisse aufhorchen. So ist es mir ein Anliegen, die Erfolgsfaktoren für ein wertebasiertes Change Management, das Unternehmensstruktur und Menschen, Führungskultur und Systemfragen berücksichtigt, zu skizzieren. Denn ganz offensichtlich scheint hier etwas missverstanden, falsch implementiert oder nur oberflächlich betrachtet zu werden.
Eines ist gewiss: Jedes Change-Management-Projekt scheitert im Ansatz, wenn Führungskräfte mit abwegigen Vorstellungen an den Start gehen wollen – nach dem Motto: „Drehen Sie die Köpfe meiner Mitarbeiter.“ „Beeinflussen Sie die Kollegen so, dass unser Projekt erfolgreich wird.“ „Lassen Sie mich wissen, wo die Quertreiber sitzen, ich regele das.“
Change Manager sind keine Spione. Und solche Zielvorgaben sind für den Change Manager ebenso manipulativ wie arbeitsrechtlich bedenklich – und haben mit Change Management nichts zu tun. Der Change Manager darf nicht die eigentliche Aufgabe der Führungskräfte übernehmen. Selbstredend darf Change Management auch nicht missbraucht werden, um eine Hidden Agenda voranzutreiben. Menschen spüren es, wenn man sie für dumm verkaufen möchte. Sie merken schnell, wenn es gar nicht um kulturellen und systemrelevanten Wandel, sondern primär um den Abbau von Arbeitsplätzen und um die Durchsetzung von Sparmaßnahmen geht. Das Vertrauen in die Zukunft, das Change Management eigentlich erzeugen soll, wird damit verspielt.
Vielmehr gilt es, die sogenannten blinden Flecken einer Organisation sichtbar zu machen und den Elefanten, der oftmals im Raum steht, beim Namen zu nennen. Dafür steht eine Kernfrage: Was muss passieren, damit die Veränderung nicht eintritt? Hier ist der Change Manager der richtige Sparringspartner. Es kommt viel Licht ins Dunkel, wenn darüber hinaus folgende Fragen diskutiert werden:
Wie Recht hatte doch Karl-Marx, als er sagte: „Alle Revolutionen haben nur eines bewiesen, nämlich dass sich vieles ändern lässt, bloß nicht die Menschen.“
Es braucht einen strukturierten, transparenten und partizipativen Veränderungsprozess, getragen von dem Gedanken „weg von – und hin zu“. Es braucht ein belastbares Ist-Bild und ein klar beschriebenes Zielbild. Ob Change Management nun wegen einer Softwareeinführung, aufgrund von Mergers and Acquisitions oder für eine optimierte Arbeitsorganisation im Sinne von „New Work“ initiiert wird: Immer geht es darum, dem Wandel eine Struktur zu geben und ihn kulturell zu verankern.
Change Management bewirkt, dass die Mitarbeiter, die Teams sowie die Organisationseinheiten die Veränderung nachvollziehen, mittragen und gemeinsam ein – wie auch immer definiertes – höheres Level an Effizienz und Effektivität erreichen. Hierzu haben wir bei Allfoye unser eigenes Modell der Vier-Organisations-Bausteine entwickelt: In diesem Framework berücksichtigen wir sowohl die harte Seite einer Organisation, sprich Struktur und Systeme, als auch die weiche Seite, also Führungsstil und Kultur, und bringen beides in eine produktive Balance:
Das Allfoye-Modell der Vier-Organisations-Bausteine: Struktur, Systeme, Führungs-(Stil) und Menschen.
Grafikerstellung: Allfoye Managementberatung GmbH mit Unterstützung durch Veit Quandt.
Mit diesem Modell wird die Organisationsentwicklung konkret beschreib- und besprechbar. Notwendige Interventionen können gemeinsam geplant und umgesetzt werden.
Ein wesentlicher Leitgedanke meiner Arbeit lautet: Menschen können Veränderung. Sie stellen sich in ihrem Privatleben permanent neuen Lebensereignissen und -phasen, sind mit Brüchen und Krisen konfrontiert, meistern sie und ergreifen persönlich Chancen, die sich ihnen bieten. Kurzum: Menschen verfügen über eine Vielfalt an Ressourcen im Umgang mit Wandel. Change Management kann an diese Kompetenz, an diese Bereitschaft für das Neue andocken, sofern die Verantwortlichen verstehen, worum es wirklich geht: um Emotionen. Die Lust am Neuen und Neugier, Wut, Ärger und mitunter Trauer, natürlich auch die Freude und der Stolz auf das Erreichte. Das ist ein Kaleidoskop an Gefühlen, die Menschen im Veränderungszyklus durchleben. Interessant ist dabei die Tatsache, dass die Veränderungstreiber diesen Zyklus ebenso durchleben, im Prozess aber immer ein bis zwei Schritte der Organisation voraus sind.
Für Führungskräfte ist es daher wichtig zu wissen: Im Unternehmen pulst beständig ein interner Radiosender. Ich nenne ihn „WiiFM“. Sein gesamtes Programm dreht sich um die eine, für Mitarbeiter entscheidende Frage: What´s in it for me? Durch die Flure und Kaffeeküchen, durch die Büros und Kantinen rauschen solche WiiFM-Signale, werden in Gesprächen verstärkt, umgelenkt und sicher auch verzerrt. Dafür muss man Antennen entwickeln. Denn Menschen gehen Veränderung gerne und bereitwillig mit, wenn sie Sinn, Ziel und Nutzen verstehen. Damit ist nicht vordergründig die Bezahlung gemeint. Neue Formen der Zusammenarbeit, mehr Eigenverantwortung, Gestaltungsspielräume und überraschende Entwicklungsperspektiven können ein Ansporn sein. Voraussetzung für erfolgreiches Change Management ist: Man muss den Menschen vertrauen, ihnen etwas zutrauen und sie mit der Vision betrauen.
Change Management beginnt deshalb immer bei den Mitarbeitern. Die Werte der Organisation müssen diskutiert, Antworten auf grundlegende Fragen formuliert werden:
Daraus lassen sich Narrative kreieren und ein glaubwürdiger Spannungsbogen vom Ist-Zustand zum Zielbild schlagen. Geschichten bringen Menschen zusammen! Dazu gehört zwingend, die Change-Management-Roadmap und die Projekt-Roadmap fein aufeinander abzustimmen. Es handelt sich nämlich um zwei Prozesse, die ineinander verwoben, aber nicht identisch sind. Sie laufen parallel.
Dies lässt sich an einem typischen Transformationsprojekt verdeutlichen: Wer eine neue Software einführen will, der achtet auf die neuen Prozesse und Features. Die Messlatte lautet: Time-Budget-Quality. Der unternehmerische Mehrwert entsteht aber erst dann, wenn Sinn und Nutzen des Projekts klar kommuniziert sind, und man den Menschen lernen lässt, wie man konkret bereichsübergreifend zusammenarbeitet. Und selbstverständlich ist, was trotzdem gern vergessen wird: die Menschen in der Anwendung der Software gut zu schulen. Das sind die wesentlichen Change-Management-Bausteine.
Idealerweise beginnt der Change-Prozess ein Vierteljahr vor dem Kick-off der IT-Implementierung und wird ebenso drei Monate nach der Umsetzung fortgesetzt. Anders gesagt: Immer Menschen vor Hard- und Software.
Jürgen Kegel ist CFO und Executive Director bei Allfoye und seit über 25 Jahren Change Manager aus Leidenschaft.
Der Leiter des Change Managements sollte niemals in Personalunion der Projektleiter sein. Beide haben unterschiedliche Rollen. Der Projektleiter verfolgt sein konkretes fachliches Ziel – in diesem Fall die erfolgreiche Implementierung der Software.
Der Change Manager hingegen sorgt für die notwendige Veränderungskultur und -kompetenz. Das gelingt ihm nur, wenn er externer Berater oder Experte einer Konzernabteilung für Organisationsentwicklung ist. Diese distanziertere aber durchaus zugewandte Position benötigt ein Change Manager, um das unweigerliche Wechselspiel von Höhen und Tiefen in komplexen Projekten wirklich durchdringen zu können. Er muss intervenieren, wenn Schlüsselmitarbeiter ihre Motivation verlieren oder überlastet erscheinen. Mit ausgeprägtem Methodenwissen und ausgestattet mit einer gehörigen Portion Empathie ergründet er die Ursachen von Leistungsdellen – und stößt oft auf psychologische und persönliche Aspekte, die berücksichtigt werden müssen.
Beispiele: Der eine ist gerade Vater geworden und findet keinen Schlaf, der nächste verspürt einen tiefen Trennungsschmerz von seiner liebgewonnen, alten Software, wieder andere Mitarbeiter pflegen kranke Angehörige… Es menschelt. Und das darf es auch! In der Folge wird jedoch die Liste unerledigter Aufgaben immer länger und der Projektleiter immer verzweifelter. Indem der Change Manager die Themen der Mitarbeiter offen adressiert und „besprechbar“ macht, entsteht ein Lösungsraum für alle Beteiligten.
Übrigens gefährdet Change-Management-Prozesse nichts mehr als Stakeholder, die übersehen und im Projektorganigramm nicht berücksichtigt sind. Manche Experten und Führungskräfte, deren berechtigte Interessen und vor allem hilfreiche Kompetenzen nicht wahrgenommen werden, verwandeln sich zu stillen, trotzigen Widerstandskämpfern. Wenn der Change-Motor dann erst einmal stottert, bedarf es viel Zeit für Kommunikation und Einzelinterventionen, um „verlorene“ Stakeholder an Bord zu holen.
Change Management, auch darüber sollte Klarheit herrschen, braucht einen Plan. Aber auch die unbedingte Bereitschaft zur Anpassung. Transformationsprozesse haben Überraschungsmomente, das ist schlichtweg systemimmanent. Denn wir lernen in den Organisationen morgen Themen, die uns heute noch nicht bekannt sind. Und da braucht es ein agiles Mindset, um auf neue Fragen, die definitiv auftauchen werden, gute Antworten zu finden. Change ist ein individueller Lernprozess, und dafür braucht es Luft, Zeit und Empathie. Aufgabe des Change Managers ist es, diese Ressourcen bereitzustellen, Reflexionsräume zu schaffen, Retrospektiven einzubauen und immer wieder „lessons learned“ zu formulieren. So lassen sich die Zwischenergebnisse auf ihre Wertigkeit überprüfen. Mit anderen Worten: Nur iteratives Change Management erzeugt machtvolles Wissen und inspiriert die Menschen, als Agenten des Wandels die Veränderung mitzugestalten und zu fördern.
Und wenn ein Projekt so richtig hakt und die Stimmung zu kippen droht, dann muss der Change Manager mitunter kreativ werden. In solchen Krisensituationen hat es sich bewährt, die Mitarbeiter Videos drehen zu lassen, in denen sie Pro und Contra zum Ausdruck bringen. Das wirkt Wunder. Oder wie es ein Manager formuliert hat: „Ich wusste gar nicht, wieviel negative und positive Energie wir in unserer Organisation haben.“ Ohnehin ist die Chefetage gefordert. Change braucht permanente, fühlbare Management Attention und Kommunikation. Führungskräfte müssen zwischen einem coolen Auftaktevent und der Abschlussveranstaltung präsent sein und immer wieder den übergeordneten Sinn und die Story des Change-Management-Prozesses authentisch vermitteln.
Im Ergebnis – und im Idealfall – verbindet Change Management gerade in unserer doch von Hedonismus und Individualismus geprägten Zeit die Menschen untereinander und mit der Seele des Unternehmens. Und es verhindert, wovor uns schon Albert Einstein gewarnt hat: „Die reinste Form des Wahnsinns ist, alles beim Alten zu lassen und zu hoffen, dass sich etwas ändert.“
Redaktionelle Unterstützung: Bettina Dornberg & Christoph Berdi (die „Identitätsstifter“)