Ethik ist auch, wenn man´s trotzdem macht – Ein Artikel von Dr. Thomas M. Fischer.

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Ethik ist auch, wenn man´s trotzdem macht

Kultur, Werte und Governance

Werte, Leitbilder und Purpose stehen in der Wirtschaft hoch in Kurs. Aber taugen sie auch als tragende Säulen der Unternehmensethik? Dr. Thomas M. Fischer, CEO und Gründer der Allfoye Managementberatung, plädiert für mehr Konsequenz im ethischen Denken. Alle handlungsleitenden Elemente in Kultur und Governance sollten auch im Sinne ethischer Wegweiser konkretisiert und synchronisiert werden.

Mar 20, 2024 9:16:22 AM

Ethik ist auch, wenn man´s trotzdem macht
11:15
Alloy liest Ihnen gerne den Artikel vor. Das klappt meistens gut, aber noch nicht immer. Unsere KI-Stimme übt noch.

So mancher wird vielleicht sagen: „Was für ein esoterischer Quatsch!“ Aber ich denke, wir müssen intensiver über die Ethik unternehmerischen Handelns sprechen. Die Welt ist ein verrückter Ort geworden, an dem ein eindeutiges Richtig und Falsch, Gut und Schlecht längst nicht mehr scharf zu unterscheiden sind. Die Charakterisierung als BANI trifft wohl auf Dauer unsere Lebenswirklichkeit treffender, als uns allen lieb sein kann: brizzle, anxious, non-linear, incomprehensible – brüchig, ängstlich, nicht-linear und unverständlich. Ob Klimawandel und Umweltschutz, Kriege und Konflikte, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz – in allen Handlungsfeldern, um den Jargon des Changemanagements aufzugreifen, haben wir es mit „burning platforms“ zu tun. Im Klartext: Es brennt an allen Ecken und Enden.

Unsere Fähigkeit, bisherige Entscheidungsmuster infrage zu stellen und alte Zöpfe abzuschneiden, ist gefragt wie seit Generationen nicht mehr. Und jede dieser Transformationen fordert das Rechtsempfinden und den ethischen Kompass der Verantwortlichen heraus. Erinnern Sie sich? „Don’t be evil“, hat Google sich und seinen Mitarbeitenden einst plakativ auf die Fahnen geschrieben. Viele Menschen bei Google haben den Spruch geliebt, und als er nach der Gründung der neuen Dachgesellschaft Alphabet beerdigt wurde, gab es durchaus Widerstand. Aber es half nichts. Google, eines der wertvollsten und einflussreichsten Unternehmen der Welt, folgt seither der Maxime: „Do the right thing.“ Was immer das sein mag.

Herausforderung Russland

Kaum ein Thema führt uns aktuell die Ambivalenz unternehmerischer Weichenstellungen so vor Augen wie der Überfall Russlands auf die Ukraine. Seit über zwei Jahren tobt dieser völkerrechtswidrige und verbrecherische Angriffskrieg nun schon auf europäischem Boden. Als nach Ausbruch des Krieges immer schärfere Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt wurden, funkte mein Gewissen sofort: So muss es sein. Unternehmen sollten mit dem Aggressor keine Geschäfte machen, und Steuern von deutschen Unternehmen sollten Putin nicht die Kriegskasse füllen.

Allerdings schlichen sich im Austausch mit Unternehmer:innen und Geschäftsführer:innen schnell Grautöne in meine Schwarz-Weiß-Betrachtung. Von dem einen Gesprächspartner hörte ich, wie schwer ihm der Rückzug aus Russland fiel, weil es damit auch Menschen und Familien traf, die seit Jahren und Jahrzehnten für die Firma arbeiten, und damit allein gelassen wurden. Von einem anderen Unternehmen lese ich, dass sie weiter nach Russland liefern, weil ein Rückzug aus dem Markt die Existenz von Kleinbauern, die irgendwo im globalen Süden am anderen Ende der Wertschöpfungskette die Rohstoffe für Lebensmittel erzeugen, gefährden würde. Ein anderes sieht keinen Sinn und keine Verbindung zum Krieg darin, der russischen Bevölkerung den Zugang zu wichtigen Medikamenten zu verwehren.

Im Februar 2024 berichtete die WirtschaftsWoche, dass nach wie vor Hunderte deutsche Firmen nach Russland liefern, und zwar völlig legal. So sind zum Beispiel Lebensmittel für die Bevölkerung weiter von den Sanktionen ausgenommen. Gleiches gilt für die Branchen Landwirtschaft, Gesundheit und Pharma. Sanktionen schränken den Austausch von Waren und Dienstleistungen eben nur ein; sie sind kein umfassendes Embargo.

Alles in allem ist der deutsch-russische Handel seit Ausbruch des Krieges jedoch um drei Viertel eingebrochen. Die meisten Industrieunternehmen haben früher oder später ihre Geschäfte in und mit Russland eingestellt.

Vor diesem Hintergrund beschäftigt mich schon die Frage, ob die deutsche Wirtschaft insgesamt genauso konsequent gehandelt hätte, wenn China Taiwan überfallen hätte. Unsere Abhängigkeit von China ist ungleich höher – ein Rückzug analog zum Vorgehen gegen Russland hätte massive negative wirtschaftliche Konsequenzen. Die deutsche Ökonomie könnte es sich gar nicht leisten. Und nebenbei bemerkt: Ist es ok, in der Türkei zu produzieren, obwohl Präsident Erdogan die Kurden bombardieren lässt?

Sie sehen an meinen Beispielen: Es mag auf den ersten Blick eine klare Antwort geben – doch der Anschein täuscht. Dafür ist die Lage, sind die Abhängigkeiten und die Interessen vielfach zu komplex.

 

Ethik ist auch, wenn man´s trotzdem macht – Ein Artikel von Dr. Thomas M. Fischer.

„Ethische Prinzipien manifestieren sich in der Governance und Compliance, in Leitbildern und Purpose, in der Kultur und in den Werten. Damit sie als ethisches Framework funktionieren und einwandfreies Verhalten fördern können, bedarf es allerdings einer ernsthaften und ernst gemeinten Auseinandersetzung.“, sagt Dr. Thomas M. Fischer. 

Kompass in Zweifelsfragen

Das Beispiel des Krieges in der Ukraine zeigt– schmerzlich und in aller Widersprüchlichkeit –, dass Gesetze und Regulierung allein nicht annähernd ausreichen, um den ethischen Handlungsspielraum von Unternehmen zu definieren.

Recht, Gesetz und Verträge zu achten – das ist die ethische Mindestanforderung und nicht mehr als ein breit abgesteckter Rahmen um die Vielzahl an Zweifelsfällen, mit denen Unternehmen Tag für Tag konfrontiert sind. Und das nicht nur in fernen Märkten, in denen sie es mit Diktatoren, Kriegstreibern und Unterdrückern zu tun haben.

Wie steht’s zum Beispiel um den Klima- und Umweltschutz? Wo wird bei Emissionen oder bei der Beschaffung von Rohstoffen die Grenze gezogen, ab der Profite und Umsätze wichtiger sind als Investitionen in eine nachhaltige Zukunft? Welche sozialen Probleme und Ungerechtigkeiten in der Lieferkette werden akzeptiert, damit der Betrieb weiterläuft und die Kosten beherrschbar bleiben?

Und, das treibt mich aktuell besonders um: Was bedeutet die Tatsache, dass bundesweit gut ein Fünftel und in Thüringen sogar ein Drittel der wahlberechtigten Bürger:innen die AfD präferieren? Also eine ausländerfeindliche, rückwärtsgewandte, frei in den Rechtsradikalismus und in den Faschismus diffundierende Partei? Hier liegt reaktionäres Potenzial, das weltoffene und verantwortungsbereite Unternehmen vor die Wahl stellen könnte oder bereits stellt, wie fest sie zu ihren Überzeugungen stehen.

Als Befürworter von Diversität auf allen Ebenen der Unternehmen, bis hoch in Geschäftsführungen sowie Bei- und Aufsichtsräte, mache ich mir ernsthaft Sorgen. Wir sind auf Fach- und Führungskräfte aus dem Ausland sowie auf ein vielseitiges Personaltableau mit verschiedenen sozio-kulturellen Hintergründen angewiesen. Sie sollten sich tunlichst sicher fühlen und sich in einer offenen, konstruktiven Atmosphäre entfalten können. Nur so können sie mit ihren spezifischen Fähigkeiten, Denkweisen und ihrer persönlichen Wahrnehmung der Welt die Unternehmen bereichern.

Positionierung ist gefragt

Wie schnell die Situation fragil werden und die Unternehmen erfassen kann, zeigt der Kulturkampf in den USA. Die konservativen Rechten gehen auf Unternehmen los, die sich zu Themen wie der Geschlechtervielfalt oder progressivem Umweltschutz öffentlich positionieren. „Go woke go broke“, ist die populistische Parole, die sich in den sozialen Medien in Shitstorms und Boykottaufrufen ausdrückt. Auf institutioneller Ebene strafen die mächtigen Pensionskassen als Anteilseigner Unternehmen ab, die ihrer Ansicht nach zu umweltfreundlich agieren und dafür angeblich auf Renditen verzichten. Kuschen oder standfest bleiben, das ist hier eine ethisch wie ökonomisch aufgeladene Frage.

Mir hat die Haltung des Disney-Konzerns Respekt abgenötigt, der in Florida dem aggressiven Vorgehen des republikanischen Gouverneurs Ron DeSantis gegen die offene LGBTQ-Unterstützung des Unternehmens entschieden entgegengetreten ist.

Nicht zuletzt löst der Siegeszug der Künstlichen Intelligenz (KI) in den Unternehmen einen immensen Diskussionsbedarf aus. Und das gleich auf mehreren Ebenen. Sicher, es winken hohe Zugewinne an Effizienz und Produktivität. Gleichzeitig müssen die Unternehmen aber sicherstellen, dass sich KIs gemäß ihrer Governance, Werte und Richtlinien verhalten. KIs dürfen nicht nach anderen Maßstäben entscheiden als die Mitarbeitenden.

Zudem ist die Entscheidung, wie die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine künftig gestaltet werden kann, zutiefst ethisch konnotiert. Es lässt aufhorchen, wie klar der Deutsche Ethikrat in diesem Jahr dazu Stellung bezogen hat: KI müsse menschliche Entfaltung erweitern, nicht vermindern, und dürfe Menschen nicht ersetzen. Ich bin versucht zu sagen: Gut gebrüllt Löwe, aber was heißt das denn nun in der unternehmerischen Praxis, in der die Suche nach Rationalisierungspotenzialen eigentlich permanent auf der Tagesordnung steht?

Stringenz, Transparenz und Vorbild

Die Liste ethisch relevanter Themen ließe sich beliebig fortsetzen; klare Rechtsbrüche von Unternehmen wie der Wirecard-Skandal, die Abgasaffäre mehrerer Automobilunternehmen oder bewusste Verstöße gegen das Kartellrecht habe ich hier bewusst ausgeklammert. Verbrecherische Energie steht auf einem anderen Blatt.

Mir geht es um die Zweifelsfälle, um den Alltag in den Unternehmen, um die permanenten Abwägungsprozesse. Ich meine, die Debatte über Unternehmensethik kann gar nicht intensiv genug geführt werden. Das Gute an diesem Thema ist: Das Instrumentarium, um eine spezifische Ethik zu entwickeln und zu verankern, ist meistens vorhanden.

Ethische Prinzipien manifestieren sich in der Governance und Compliance, in Leitbildern und Purpose, in der Kultur und in den Werten. Damit sie als ethisches Framework funktionieren und einwandfreies Verhalten fördern können, bedarf es allerdings einer ernsthaften und ernst gemeinten Auseinandersetzung. Die Zeiten, in denen die vermeintlich weiche Seite der Unternehmen mit Blick auf die Moden des Marktes und auf den Zeitgeist ausgestaltet wurde, gehören der Vergangenheit an. Unternehmensethik ist eine harte Währung; sie gibt den Mitarbeitenden und Teams Sicherheit und beschreibt die Handlungsräume. Der Unternehmensführung zeigt sie an, welche Entscheidungen akzeptabel sind und welche nicht.

Letztlich wirkt sie dem „Organisationsversagen“ entgegen, dem Ausfall aller internen Kontrollmechanismen, wie es bei vielen Wirtschaftsskandalen der jüngeren Vergangenheit zu beobachten war. Anders gesagt: Eine wohlüberlegte und belastbare Ethik stärkt die unternehmerische Resilienz.

Der Weg zu diesem Ziel führt über einen partizipativen Prozess, in dem über das ethische Fundament durchaus gerungen werden darf. Wenn es erst einmal steht, muss es von der Unternehmensleitung stringent und transparent vorgelebt werden. Die Unternehmensethik ist dann so etwas wie die Ausführungsbestimmungen für den geltenden Rechtsrahmen. Und daran lässt sich dann im Zweifel auch ermessen, ob man bei ethisch strittigen Themen auch gegen den Strom schwimmen kann.

In welche Märkte ein Unternehmen liefert, wie es seine Lieferkette organisiert, wie verantwortungsvoll oder „woke“ seine Produkte sind, ob es bei Sanktionen Spielräume ausnutzt, wo es sich in gesellschaftlichen Debatten verortet – alles sollte erstens legal sein und zweitens aus den eigenen Werten begründet werden können. Die Entscheidungen können der Erwartungshaltung von Öffentlichkeit und Politik entsprechen, müssen es aber nicht. Frei nach dem Motto: Ethik ist auch, wenn man´s trotzdem macht.

Redaktionelle Unterstützung: Bettina Dornberg & Christoph Berdi (die „Identitätsstifter“)

Vortrag von Dr. Thomas M. Fischer: Segel sez

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Unternehmen haben alle Hände voll zu tun, um mit den Krisen und Unwägbarkeiten unserer Welt klarzukommen. Aber im Reaktionsmodus entsteht keine Zukunft. Zeit, das Ruder wieder fest in die Hand zu nehmen und sich auf seine eigenen Stärken und Potenziale, Werte und Resilienzfaktoren zu besinnen.

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