Wann haben Sie zum letzten Mal ausführlich mit dem Chief Information Officer (CIO) gesprochen oder mit dem Leiter der IT? Lange nicht mehr? Sollten Sie aber. Es ist möglich, dass er etwas auf dem Herzen hat. Ein Paradigmenwechsel bahnt sich an, der im verwirrenden Strom der Neuigkeiten rund um das Thema IT noch nicht für alle Führungskräfte greifbar ist. Zudem ereignet sich dieser digitale Umbruch ausgerechnet in einer Phase, in der sich in manchem Unternehmen gerne und zufrieden gegenseitig auf die Schulter geklopft wird: „Na, wie haben wir das gemacht?“ Schließlich ist in der Corona-Pandemie ein riesiger Digitalisierungsschub gelungen. Homeoffice-Lösungen, verteiltes Arbeiten, Netzwerkstrukturen, Videochats, Microsoft Teams – alles kein Problem mehr.
Und es stimmt ja; in den vergangenen anderthalb Jahren haben die Unternehmen des deutschen Mittelstands viel erreicht. Aber eines nicht: Im Großen und Ganzen haben sie ihre Wettbewerbsfähigkeit in der digitalen Sphäre nicht verbessert. Beispielsweise haben viel zu viele Unternehmen ihre zentralen Geschäftsprozesse immer noch nicht in die Cloud transferiert, sondern nur ihre Office-Anwendungen. Sie beschäftigen ihre IT-Abteilung weiterhin vorrangig damit, die IT-Infrastruktur und das hauseigene Rechenzentrum zu betreiben. Eine defensive Strategie, aber auch die logische Konsequenz einer Haltung, die IT in erster Linie als Kostenfaktor auffasst.
Kein Wunder, dass viele Unternehmen von der Kundenorientierung und der Leistungsfähigkeit digitaler Plattformen wie Amazon oder Zalando noch weit entfernt sind. Doch diese definieren, was bereits heute als zeitgemäßer Service wahrgenommen wird und morgen auch im Business-to-Business zum Standard avanciert: komplett automatisierte, schnelle Prozesse, die intern die Aufwände minimieren und extern die Kunden begeistern. Da sitzt niemand mehr, der Belege und Rechnungen prüft; solche Tätigkeiten übernehmen Maschinen. Und in der Folge sind Lieferungen in ein bis drei Werktagen der Mindeststandard und in 24 Stunden die Kür. Same-Day-Delivery gilt als Sahnehäubchen. Das ist nur ein Beispiel von vielen, aber eines, das sich den Menschen einprägt. Warum können sie privat ein neues Hi-Fi-Surround-System innerhalb von ein, zwei Tagen erhalten, müssen aber am Arbeitsplatz auf die bestellten Waren wochenlang warten? Hier entstehen neue Erwartungen und Kundenbedürfnisse im Industriegütergeschäft.
Die Wahrheit ist: Mit der derzeit vorherrschenden IT-Philosophie können die Unternehmen solche Ansprüche nicht bedienen. Zu groß ist noch die Versuchung, jede Funktion, jeden Aspekt der Geschäftstätigkeit in das umfassende und von seiner Natur her monolithische Enterprise Resource Planning (ERP) zu integrieren. Viel Geld, Zeit und Personalressourcen werden investiert, um dem ERP ein Detail beizubringen, das man längst und deutlich günstiger am Markt hinzukaufen kann. Start-ups, aber auch etablierte Softwareunternehmen, haben für viele vermeintliche Probleme bereits eine Lösung gefunden.
Im Privaten reden wir von Apps, von denen jeder Smartphone-Besitzer im Schnitt um die 100 nutzt, im beruflichen Kontext von Microservices. Dabei handelt es sich um in sich geschlossene Programme mit Cloudanbindung und eigenem Datenmanagement. Sie können spezifische, klar umrissene Aufgaben effizient lösen und quasi „von der Stange“ hinzugekauft werden. Ob Spesenmanagement und Reisekostenabrechnung, Customer Service oder Mitarbeiterzufriedenheit – im schnellen Takt kommen neue Microservices auf den Markt, die die Unternehmen flexibler, schneller und letztlich erfolgreicher machen.
„Die Zukunft gehört den Microservices“, sieht Udo Witte, Experte für IT-Lösungen und digitale Transformation, vorher. Dabei bestehe bei der Einführung die Herausforderung darin, die „Microservices nicht wie freie Radikale ins Unternehmen einzuführen, sondern intelligent mit der bestehenden IT-Welt zu synchronisieren.“
Diese Programme sind immer aktuell, auf dem neuen Sicherheitsstandard und, der Cloud sei Dank, skalierbar. Jede Wette: Ihre IT denkt längst über solche Lösungen nach, traut sich aber vielleicht noch nicht, die Karten auf den Tisch zu legen. Schließlich bedeuten Microservices die Abkehr von der bisherigen Denkweise, dass jeder Geschäftsvorfall direkt ins ERP gehört. Und trivial ist es auch nicht, die bestehenden Systeme mit den schnellen Beibooten zu ergänzen. Schließlich ist niemandem geholfen, wenn parallele IT-Strukturen entstehen, in der die Prozesse einen Schluckauf bekommen und die Datenhaltung durcheinandergerät. Die Herausforderung besteht also darin, die Microservices nicht wie freie Radikale ins Unternehmen einzuführen, sondern intelligent mit der bestehenden IT-Welt zu synchronisieren.
Die Hauptaufgabe der IT besteht künftig darin, Microservices zu orchestrieren. Anders werden Unternehmen ihre Geschäftsprozesse nicht mit der notwendigen Flexibilität, Geschwindigkeit und Skalierbarkeit entwickeln können, wie sie der Markt und der Wettbewerb zunehmend erfordern. „Business Process Management“ (BPM) lautet dafür der Fachbegriff. Es gilt, das Zusammenspiel des ERP mit einer Vielzahl von nutzenstiftenden Microservices sowie Standardanwendungen wie Microsoft 365 oder Teams zu organisieren. Mit sauberen Schnittstellen, einem integrativen Datenmanagement und effizienten Cloudanwendungen. Wenn die Nutzer im Unternehmen über einen Browser auf diese Daten und Prozesse zugreifen, dürfen sie die Komplexität des Systems überhaupt nicht bemerken.
Nun sind auch Microservices nicht zum Nulltarif zu haben, aber sie machen viele Investitionen in die langwierige Entwicklung und Skalierung der IT überflüssig. Und die Kosten vieler On-Premise-Lizenzen für Software, die dezentral an den Arbeitsplätzen installiert ist, werden ebenfalls entfallen. Damit kein Missverständnis aufkommt: Diese Einsparungen bedeuten nicht, dass Cloud-Services per se billiger sind – aber das ist eine andere Geschichte.
Die Signale aus dem Markt sind eindeutig: Microservices sind die Zukunft der Unternehmens-IT. Wer noch nicht überzeugt ist, sollte sich anschauen, wie SAP zu Anfang des Jahres 2021 die Übernahme des BPM-Unternehmens Signavio begründet hat: Die heutige dynamische Welt verlange von allen Unternehmen, Geschäftsprozesse schnell an sich verändernde Marktbedingungen anpassen zu können. Es komme ständig darauf an, Geschäftsprozesse zu entwerfen, zu bewerten, zu verbessern und zu transformieren. Amen.
Und spätestens jetzt sollten Sie mit Ihrem CIO oder dem Leiter der IT reden …
Redaktionelle Unterstützung: Bettina Dornberg & Christoph Berdi (die „Identitätsstifter“)