Herr Bauer, wann und mit wem haben Sie die Rainbow Community @ All for One ins Leben gerufen?
Anfang 2022 haben wir zu dritt die Gruppe gegründet. Mit Erik Ostwald aus dem Bereich Human Resources und mit Renate Kirschner, Vorsitzende des SE-Betriebsrats sind also von Beginn an auch mehrere Fachrichtungen und Tochtergesellschaften sowie eben die Arbeitnehmer:innenvertretung als Stimme der Belegschaft mit an Bord.
Was macht das Thema LGBTQ+ so bedeutsam für Unternehmen?
Es ist überaus wichtig aus mindestens zwei Gründen: Zum einen werden nach wie vor, wie die Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 2020 zeigt, 30 Prozent der sich zum LGBTQ+ Spektrum zählenden Menschen am Arbeitsplatz diskriminiert. Das sind alarmierend hohe Zahlen. Zum anderen ist zu beobachten, dass das Bewusstsein zunimmt, wie wichtig und förderlich diverse Teams für Unternehmen sein können.
Und: Laut einer Studie des Start-ups truffls aus demselben Jahr achten rund 66 Prozent aller Arbeitnehmenden und sogar 74 Prozent aller Arbeitnehmenden im Alter zwischen 18 und 29 Jahren bei ihrer Jobsuche auf eine diverse Haltung ihrer potenziellen Arbeitgeber. Das ist also ein relevantes Thema beim Recruiting angesichts des Fachkräftemangels.
Was waren Ihre Beweggründe eine LGBTQ+ Community bei der All for One Group zu etablieren?
Das oberste Ziel: Jedwede sexuelle Orientierung soll als Teil von Diversität im Unternehmen selbstverständlich gelebt werden. Das impliziert eine LGBTQ+ offene Kultur nach innen wie nach außen.
Nach innen möchten wir als Anlaufstelle für Sorgen und Fragen, Wünsche und Anliegen rund um LGBTQ+ auftreten. Gleichzeitig schaffen wir ein Netzwerk und einen Safe Space, in dem die Community zusammenkommen und sich austauschen kann.
In der Kommunikation nach außen möchten wir die All for One Group als aufgeschlossenen und kulturell diversen Arbeitgeber positionieren, indem wir für Sichtbarkeit sorgen und Haltung zeigen. Zudem erhoffen wir uns einen Benefit für das Employer Branding und Recruiting. Langfristig können wir dadurch auch Wettbewerbsvorteile generieren, indem wir zu einer stärkeren Bindung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beitragen.
Wer Diversität als Mehrwert ernst nimmt, kommt um die Rainbow Community nicht herum. Übrigens Stichwort Fachkräftemangel: Laut DIW haben LGBTQ+ Menschen im Schnitt einen höheren Bildungsabschluss als heterosexuell orientierte Menschen.
In Deutschland sehen sich 7,4 Prozent der Personen dem LGBTQ+ Spektrum zugehörig. Das heißt, sie definieren sich selbst und leben beispielsweise lesbisch, schwul, bisexuell, transgeschlechtlich oder kurzum: queer. Das bedeutet, statistisch gerechnet, müssten sich bei der All for One Group rund 200 Mitarbeitende der Community verbunden fühlen. Wie viele Mitglieder haben Sie denn?
Aktuell haben wir 14 Mitglieder sowie Unterstützer:innen aus vielen verschiedenen Market Units und Standorten der All for One. Das sind noch nicht viele, bisher haben wir jedoch kaum kommuniziert, da wir erst Grundlagen schaffen mussten. Und warum wir gleich die Community für Unterstützer:innen geöffnet haben? Diese Frage wird uns oft gestellt.
Wir haben uns dazu entschieden, weil wir uns nicht abgrenzen möchten, sondern uns eher als Botschafter:innen für umfassende Diversität verstehen. Oder auch anders gesagt: „Love is Love“ – wen du liebst, was du fühlst, welchem Geschlecht du dich zugehörig fühlst, das macht keinen Unterschied! Außerdem gibt es Menschen, die noch unsicher sind, als was sie sich definieren sollen. Auch diesem Aspekt wollten wir Rechnung tragen. Sollten wir wirklich bei der Aufnahme fragen: „Bist du tatsächlich homo- oder transsexuell?“ Das geht ja gar nicht. Das war uns wichtig.
Was haben Sie bisher erreicht?
Erst einmal haben wir Community Guidelines für den Umgang mit sensiblen und persönlichen Informationen aufgestellt. Alle, die unserer Community beitreten wollen, müssen sie unterschreiben. Darüber hinaus haben wir ein geschütztes Postfach und einen ebenso sicheren Teams-Kanal eingerichtet – für den Austausch untereinander und die Projektarbeit.
Mit steigender Mitgliederzahl wird es auch Unterkanäle, zum Beispiel für lesbische Personen, geben. Wir haben eine Version des All for One-Logos in Regenbogenfarben in Abstimmung mit der Marketingabteilung in Auftrag gegeben und über die Rechtsabteilung abgesichert. Auch haben wir inzwischen eine SharePoint-Seite, also eine Intranetseite aufgebaut, die unsere Community vorstellt.
Außerdem haben wir den Kontakt zu den anderen Diversity Communities in unserer Unternehmensgruppe gesucht. Bei uns sind das insbesondere women @ All for One und das Equal Treatment Board – unsere Antidiskriminierungsstelle. Zudem haben wir uns mit der Embassy of Values, die sich mit unseren Unternehmenswerten befasst, ausgetauscht. Wir sind also bestens vernetzt.
Sie haben jetzt, Anfang des Frühjahrs, darüber hinaus das Gespräch mit dem Vorstand der All for One Group gesucht. Wie hat sich denn der Vorstand zu Ihrer LGBTQ+ Community positioniert?
Erst einmal hat er sich bei uns für unser bisheriges Engagement bedankt. Das war sehr schön. Es wurde umgehend deutlich, dass die All for One Group ein Pride-freundlicher Arbeitgeber ist. Der Vorstand vertritt eine eindeutige Haltung und hat uns ebenso Impulse mitgegeben, wie wir das Thema weiter voranbringen können. Darüber hinaus unterstützt er unser Anliegen ganz offiziell – sozusagen amtlich –, sodass wir auch im Kontext von Führung und Kultur die Interessen der Community vertreten.
Und: Der Vorstand hat uns ein jährliches Budget für unsere Aktivitäten garantiert, das uns erlaubt, nicht nur abends schnell noch etwas auf freiwilliger Basis zu basteln... Das Budget ermöglicht es uns, größere Projekte anzugehen, die etwas mehr Zeit erfordern. Aber auch, um etwa ein Fotoshooting zu machen.
Das klingt alles sehr erfreulich. Was planen Sie an Aktivitäten oder Aktionen?
Das Wichtigste ist für uns erst einmal, dass wir intern besser auffindbar sind und primär nach innen kommunizieren. Wir haben bisher nur zweimal auf Yammer, unserer unternehmensinternen Social-Media-Plattform, gepostet. Wir werden das Thema somit bewusster platzieren, Hintergründe liefern und kommunizieren – da befinden wir uns auch weiterhin im engen Austausch mit unserer Personalabteilung.
Aber wir werden natürlich zunehmend die interne Kommunikation mit der externen kombinieren. Die kommenden Monate Juni und Juli sind ja als Pride Months bekannt. Die Tochtergesellschaften der All for One, die am Standort Wien vertreten sind, werden beispielsweise am 3. Juni am Pride Run in Wien für die All for One sozusagen stellvertretend mitlaufen.
Weitere Aktionen sind in Planung, aber das möchte ich noch nicht verraten. Und es gilt, das Thema sukzessive auf der Website und in den Stellenanzeigen zu positionieren. Stichwort: Employer Branding. Kurzum, Auffindbarkeit und Sichtbarkeit nach innen haben jetzt höchste Priorität und zunehmend auch das Wording und die Aktivitäten nach außen.
Die All for One Group hat ebenso Tochtergesellschaften und Kunden in Polen, in der Türkei und in Ägypten. Wie verhält sich da die Kommunikation über Ihre Rainbow Community? Was unterscheidet sich?
Das ist ein sensibles Thema – und da müssen wir vorsichtig sein. Selbstverständlich stehen wir jeder und jedem, der sich an uns wendet, begleitend zur Verfügung und unterstützen, so gut wir können. Gerade unser Safe Space und unser geschütztes Postfach sind hier wichtig. Denn die gesellschaftliche Offenheit, die wir an Deutschland schätzen, entspricht leider nicht der Lebensrealität von Personen des LGBTQ+ Spektrums in weiten Teilen der Welt.
Grundsätzlich – das wurde uns auch im Gespräch mit unserem Vorstand klar – möchten wir eindeutige Rahmenbedingungen für eine Kultur schaffen, die erkennbar auf Toleranz und Offenheit, auf Diversität und Inklusion als zentralen Unternehmenswerten beruht.
Anders formuliert: Wie lauten zusammengefasst Ihre Vorschläge für Unternehmen, die das Thema LGBTQ+ als Bestandteil einer diversitären Kultur platzieren möchten?
Diskriminierung ist leider generell immer noch ein Thema am Arbeitsplatz. Deshalb ist es ein positives und willkommenes Signal, bereits beim Bewerbungsgespräch einzubringen, welche themenübergreifende Initiativen und Angebote es schon gibt.
Es sind in Summe so viele kleine Dinge, denen man Aufmerksamkeit schenken kann. In der Stellenausschreibung beispielsweise etwa mit Formulierungen wie „Alle Geschlechter sind willkommen ...“ Und dann gibt es Aspekte, die wir als elementar betrachten: einen geschützten Raum schaffen, Guidelines aufstellen für Umgang und Verschwiegenheit, ein Bewusstsein schaffen für das Thema – insbesondere unter Führungskräften...
Ziel sollte sein, dass ein Outing – also die sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität preiszugeben – angstfrei erfolgen kann oder noch besser – keine besondere Rolle mehr spielen muss.
Nach der gesetzlich eingeführten Frauenquote wird zunehmend über eine LGBTQ+ Quote diskutiert. Mehrere Unternehmen – vor allem im angelsächsischen Raum – haben sich bereits auch eine LGBTQ+ Quote gegeben. Die Quote wird selbstverständlich nicht als einstellungsrelevante Kennziffer behandelt, aber durchaus als ernstzunehmendes Signal nach innen wie nach außen verstanden. Was halten Sie von einer Rainbow Quote für Unternehmen?
Das ist ein starkes Zeichen – sowohl für Unternehmen als auch für den gesamtgesellschaftlichen Diskurs hin zu einer größeren Akzeptanz den Menschen gegenüber, die sich zur LGBTQ+ Community zugehörig fühlen. Letztlich geht es doch – egal, wie man vorgeht – um das ganz große Thema: Diversity ganzheitlich zu verstehen, zu implementieren und zu leben. Der Zweck ist ja nicht, irgendwelche Gruppen zu installieren, die sich gegeneinander abgrenzen, sondern Räume zu schaffen, in denen man individuell und als Mensch gesehen wird – mit all seinen Eigenheiten, Stärken und Schwächen. Oder um Goethe zu zitieren: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!“ So können wir gemeinsam tätig werden – mit dem Ziel einer diskriminierungsfreien, inklusiven und diversen Unternehmenskultur. Wie eine LGBTQ+ Quote letztendlich in Unternehmen umgesetzt wird, stelle ich mir als große Herausforderung vor und bin daher gespannt, welche Wege wir hier sehen werden.
Und abschließend vielleicht noch zur Erinnerung: Eine Studie aus dem Jahr 2020 weist darauf hin, dass sich der Zusammenhang von Geschäftserfolg und Diversität nochmals verstärkt hat: Lag die Wahrscheinlichkeit, mit hoher Diversität überdurchschnittlich profitabel zu sein, im Jahr 2014 noch bei 15 Prozent, stieg sie sechs Jahre später auf 25 Prozent. Hier zeigt sich: Die Unternehmen entwickeln sich. Man drückt sich nicht vor Haltung, sondern sucht den sozialen Diskurs – nicht nur für sich, sondern eben auch für andere. Und dafür ist eine diverse Kultur, also eine Repräsentanz der gesellschaftlichen Vielfalt in Unternehmen, ein wichtiger Schlüssel.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Bettina Dornberg von den Identitätsstiftern.
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von Lukas Bauer
May 16, 2023 3:31:23 PM