Der Mittelstand wird häufig dafür kritisiert, dass er seine Hausaufgaben in Digitalisierung nicht erledigt habe. Studie um Studie weist auf entsprechende Defizite hin. In der Öffentlichkeit kommt es so zu einer Fehleinschätzung. Es verfestigt sich der Eindruck, dass kleine und mittlere Unternehmen (KMU) am Standort Deutschland geradezu analog wirtschaften. Das ist natürlich grundfalsch. Aber zur Realität gehört gleichzeitig, dass die digitalen Strukturen mancher mittelständischen Unternehmen tatsächlich nicht zukunftsfähig sind: Vielerorts sind über die Jahre und Jahrzehnte heterogene IT-Landschaften entstanden, in denen Daten weder einheitlich noch aggregierbar, weder aktuell noch verlässlich sind. In Tochter- und Ländergesellschaften koexistieren verschiedene IT-Systeme, deren Datenoutput nur mit hohem, manchmal sogar händischem Aufwand zu aussagekräftigen Reports zusammengeführt werden kann. Gesamtbild und Status eines Unternehmens und seiner Wertschöpfungsprozesse, die durch Daten eigentlich transparent werden sollten, liegen hinter einem Schleier. Solche Strukturen lassen sich nicht „reparieren“ oder kunstvoll neu verknüpfen. Zumindest nicht halbwegs effizient. Vielmehr ist die Zeit dann reif für einen Neuanfang, und der gelingt überzeugend und effizient mittels SAP S/4HANA, dem Quasi-Standard für modernes, integriertes Enterprise Resource Planning (ERP).
S/4HANA ist eine umfassende Software-Lösung, die auf den Servern eines Unternehmens („on premise“) oder – und darin liegt die Zukunft – in der Cloud betrieben werden kann. Mit einem konsistenten Datenmodell verknüpft das Programm alle Funktionsbereiche eines Unternehmens, erlaubt proaktives Management und Echtzeitanalysen. Dabei kommen auch KI und Maschinelles Lernen zum Einsatz. Neue Geschäftsmodelle lassen sich mit S/4HANA nahtlos integrieren, Unternehmensabläufe gezielt modellieren und interne wie externe Ressourcen intelligent koordinieren. Dass die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens eng mit solch einem technologischen Rückgrat verknüpft ist, dürfte außer Frage stehen. Zur Wahrheit gehört aber: Wer das Potenzial von S/4HANA ausschöpfen möchte, bereite sich auf tiefgreifende, das gesamte Unternehmen erfassende Veränderungen vor. Alle Geschäftsprozesse müssen angepasst, harmonisiert und standardisiert werden.
Wohl jedes Unternehmen hat das Selbstbild, es sei einzigartig in seinen Kompetenzen und Prozessen, in seiner Arbeitsweise und seiner Kultur sowie im Umgang mit Kunden und Lieferanten. Das ist auch so – bis zu einem gewissen Grad. Wenn es um die Basisabläufe geht, dann stellt man bei genauerem Hinsehen doch fest: Sie unterscheiden sich kaum von der Art und Weise, wie diese Themen in anderen Unternehmen gehandhabt werden. Finanzen und Controlling, Einkauf und Logistik – letztlich haben sich in Organisationslehre und Betriebswirtschaft Standards herausgebildet, denen viele Unternehmen treu folgen. Warum das für die Einführung von S/4HANA von Bedeutung ist? Weil die Software genau diese allgegenwärtige Unternehmenswelt mit all ihren Material- und Werteflüssen exakt und nachvollziehbar abbildet. Der Erfolg hängt davon ab, ob sich ein Unternehmen flexibel an diesen Standard anpassen kann.
Der umgekehrte Weg, S/4HANA auf individuelle Wünsche der Mitarbeiter und Abteilungen sowie auf Sonderfälle der Märkte auszurichten, erfordert spezifische Anpassungen: Jede Schleife, jedes Extra, jede Abweichung von der Norm kostet Zeit und Geld und geht auf Kosten künftiger Effizienz: Datenstrukturen können nicht vereinheitlicht werden. Prozesse laufen nicht so stromlinienförmig, wie es möglich wäre. Die IT-Landschaft verliert ihre Konsistenz. Jedes Upgrade wird zum komplizierten und teuren Abenteuer, weil eben nicht nur die Basissoftware, sondern alle Extra-Programmierungen und SAP-nahen Sub-Systeme mit ihren Schnittstellen berücksichtigt werden müssen. Ergo: Kundenspezifische Anpassungen an ein ERP-System sind nur sinnvoll, wenn das Unternehmen wirklich eine Besonderheit aufweist, die für den Betrieb und die Wettbewerbsfähigkeit (Stichwort „USP“) unabdingbar ist. Diese Sonderwege dürfen nicht überhandnehmen, und es ist eine Kernaufgabe im Projektmanagement, das Verhältnis von Standards und individuellen Funktionen permanent neu auszuloten. Ansonsten gilt, in Anlehnung an Gertrude Steins Gedichtzeile „eine Rose ist eine Rose ist eine Rose“: Eine Rechnung ist eine Rechnung ist eine Rechnung.
SAP bildet diese Standards in Form von „Best Practices“ in S/4HANA ab. Dabei handelt es sich um erprobte, stabile Prozesse und Routinen für die wichtigsten Unternehmensabläufe. Bei der Implementierung von S/4HANA geht es darum, sich möglichst nah an diesen Standards zu orientieren. Die All for One Group verfügt ergänzend dazu über eine Prozessbibliothek, in der das Wissen und die Erfahrungen aus hunderten Projekten hinterlegt sind.
Für viele Mitarbeiter kommt der Versuch, ihre Prozesse diesem Standard anzugleichen, jedoch dem Aufruf zur Revolte gleich. Teils über Jahrzehnte eingeübte Routinen und persönliche Vorlieben müssen aufgebrochen werden. Geschäftsbereiche und Standorte mit unterschiedlichen Vorstellungen, wie ein Geschäftsvorgang abzuwickeln sei, sind aufgerufen, eine gemeinsame Linie zu finden. Inseln des Datenmanagements, in denen sich manche Mitarbeiter genauso gemütlich eingerichtet haben wie in ihren Büros, müssen einem größeren, übergreifenden Verständnis der Zusammenarbeit im Unternehmen weichen. All diese Phänomene sind keineswegs selten. Und mehr noch: Die in der Diskussion um moderne Arbeitsstrukturen oft kritisierten Silos gleichen in Wirklichkeit gut bewachten Burgen, die im Zuge der Einführung von S/4HANA erobert werden müssen. Je näher man sich dabei den Touchpoints zu den Kunden nähert, desto häufiger und intensiver werden die Konflikte. Unternehmen möchten in ihrem Angebot und Service individuell bleiben, und das ist im Sinne des Wettbewerbsvorteils ja auch richtig. Indes gilt es genau hinzusehen, welche IT-seitige Besonderheit ein Alleinstellungsmerkmal darstellt und unter S/4HANA bewahrt werden sollte – und welche doch entbehrlich ist und auch im Sinne des Kunden auf ein „vernünftiges“ Maß zurückgefahren werden kann.
Es liegt auf der Hand: Ohne ein begleitendes Change Management wird der Umstieg auf S/4HANA kaum funktionieren. Die Menschen und die Organisation müssen sich notwendigerweise an das System und an neue, effizientere Prozesse anpassen. Sie in diesem grundlegenden Wandel mitzunehmen und einzubinden, zu befähigen und zu coachen ist unabdingbar. Mit der Entscheidung für ein SAP-System beginnt eine lange, aber notwendige Reise. Ohne intensive Kommunikation und Zusammenarbeit, wie es sie in mancher Organisation vielleicht noch nie gegeben hat, gelangt man nicht ans Ziel: Die IT-Abteilung und die Funktionsbereiche müssen intensiv miteinander reden. Was will der Vertrieb? Welche Informationen benötigt das Supply Chain Management? Und wie steuert die Produktion die Fertigung? Welche Anforderungen werden die Kunden morgen an das Unternehmen stellen? All diese Facetten müssen geklärt, harmonisiert und mit dem SAP-Standard abgeglichen werden, damit das Potenzial des Enterprise Resource Planning voll ausgeschöpft werden kann.
Programm-Organisation einer SAP S/4HANA-Einführung oder auch: Kommunikation in der Matrix. Alle Funktionsbereiche eines Unternehmens (vertikal) müssen eine gemeinsame Vorstellung der Datenstrukturen, der Prozesse und der Zusammenarbeit entwickeln. Auf horizontaler Ebene ist die enge Kollaboration zwischen den Bereichen, Schlüsselnutzern und der IT gefragt, um effiziente und zukunftsleitende Lösungen zu gestalten.
Grafikerstellung: Allfoye Managementberatung GmbH mit Unterstützung durch Veit Quandt.
Und die Bereiche müssen sich untereinander austauschen, um die Prozesse sauber und „End-to-End“ zu definieren und um die Schnittstellen zu standardisieren. Dazu bedarf es der Feinarbeit im Detail sowie eines geteilten Verständnisses von der Funktionsweise des Unternehmens. Es geht also nicht mehr darum, wie eine Abteilung eine Herausforderung löst. Entscheidend ist, dass die beteiligten Funktionsbereiche entlang der Wertschöpfungskette integriert denken und eng verzahnt handeln. Dieser Change wirkt tief in die Struktur einer Organisation hinein. Abteilungen müssen vielleicht neu organisiert werden; die Zahl der Arbeitsplätze, spezifische Stellenbeschreibungen und Verantwortungsbereiche verändern sich.
Um eine Idee von der Komplexität einer SAP S/4HANA-Einführung zu vermitteln, sei hier auf ein Best-Practice-Beispiel eines typischen, international agierenden mittelständischen Unternehmens verwiesen. Unsere Erfahrung zeigt, dass inklusive Berater der Allfoye und der All for One Group rund 150 Menschen in die initiale Projektphase involviert sind. Gut und gerne 1.000 Workshops und Besprechungen sind keine Seltenheit, um das Vorhaben voranzubringen und den Roll-out vorzubereiten. Der Aufwand ist mehr als gerechtfertigt; schließlich wirkt sich das Projekt auf die Arbeit der meisten Mitarbeiter eines Unternehmens aus.
Das begleitende Change Management muss deshalb auf Nähe, Transparenz und Klarheit ausgerichtet sein. Diese Umsetzungsqualität lässt sich nicht auf verschiedene Projektteams verteilen, sondern ist nur mit einem übergeordneten, für die gesamte Belegschaft ansprechbaren Programm-Management zu erreichen. Erfolgskritisch ist, die betroffenen Führungskräfte und Mitarbeiter früh einzubeziehen und so die Bereitschaft und die Akzeptanz für die Veränderungsmaßnahmen zu steigern. Schlüsselnutzer und Beteiligte an den Rollouts sollten zudem frühzeitig eingebunden und mit umfangreichem Wissen ausgestattet werden, sodass sie für die anstehenden Aufgaben vorbereitet sind. Darüber hinaus können sie als Multiplikatoren in die Organisation hineinwirken. Kommunikation ist ohnehin Trumpf; regelmäßige Informationsveranstaltungen und Videobotschaften unterstreichen die Relevanz des Projekts und sorgen für Sichtbarkeit.
Eine unmittelbar vertrauensstiftende Rolle haben Vorstand respektive Geschäftsführung inne. Bereits in der Vorbereitung müssen die übergeordneten Ziele klar beschrieben und die strategischen Leitplanken definiert sein, um einen Rahmen für die Programmdurchführung zu geben. Das Engagement des Vorstands ist auch insbesondere gefragt, wenn Konflikte zu lösen und Krisen zu überwinden sind. In einem Projekt mit dem Ausmaß und der Tiefe einer S/4HANA-Einführung bedarf es mitunter einer konsequenten Eskalation: Streitfälle und Meinungsverschiedenheiten, die von den Beteiligten auf Projekt- oder Arbeitsebene nicht gelöst werden können, gehören auf die nächsthöhere Entscheidungsebene, damit sie sich nicht in Blockaden verwandeln. Denn eines sollte ein S/4HANA-Projekt niemals – stillstehen.
Redaktionelle Unterstützung: Bettina Dornberg & Christoph Berdi (die „Identitätsstifter“)