Mit der CSRD verfolgt die EU ein ambitioniertes Ziel: Die Nachhaltigkeitsberichterstattung der Wirtschaft soll in den Handlungsfeldern Umwelt, Soziales und Governance auf das gleiche Qualitätsniveau gehoben werden wie die Finanzberichterstattung. Analog zu freiwilligen Standards wie der Global Reporting Initiative (GRI) oder dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex, fordert die CSRD eine verständliche, relevante, überprüfbare und vergleichbare Wiedergabe der Informationen. Wie in der Finanzwelt ist „faithful representation“, die wahrheitsgetreue Darstellung, die leitende Maxime für die neue Berichtsform. Um diese Güte sicherzustellen, sollen die CSRD-Reports künftig, wie die wirtschaftliche Bilanz eines Unternehmens von Wirtschaftsprüfungsgesellschaften bestätigt werden.
Für viele Unternehmen liegt in der Detailtiefe der Informationen eine große Herausforderung. Sie sind es nicht gewohnt, öffentlich so präzise zu kommunizieren und dabei gegebenenfalls noch den möglicherweise negativen Aspekten der eignen Geschäftstätigkeit Aufmerksamkeit zu schenken. Während freiwillige Nachhaltigkeitsberichte bisher Raum und Möglichkeiten bieten, Positives hervorzuheben und negative Auswirkungen nur wenig zu beleuchten, so verlangt die CSRD einen analytisch sauberen Umgang auch mit etwaigen Schattenseiten: Unternehmen werden angehalten, nach dem Konzept der doppelten Wesentlichkeit alle relevanten Nachhaltigkeitsthemen zu identifizieren. Dies bedeutet, dass sowohl die externen Risiken, etwa durch Gesetze, Normen oder Marktveränderungen, als auch die Folgen des eigenen wirtschaftlichen Handelns jeweils einen Wesentlichkeitsaspekt darstellen. Selbst gut gemeinte Aktionen können durch dieses Raster fallen: Es mag für ein holzverarbeitendes Unternehmen in Mitteldeutschland ein ehrenvolles Anliegen sein, sich mit dem Schutz der Meere zu befassen und vielleicht eine Spendenaktion dazu durchzuführen – wesentlich im Sinne der neuen Berichterstattungspflichten ist dies jedoch wahrscheinlich nicht.
Ehrlich währt am längsten
So stellt sich im Kontext der CSRD für die Unternehmen primär die Aufgabe, ehrlich gegenüber sich selbst zu sein. Der Corporate Climate Responsibility Monitor 2023 gibt einen Hinweis darauf, wie schwer sich viele Firmen damit noch tun. In dieser Untersuchung wird unter dem Gesichtspunkt „Integrität“ abgeschätzt, ob die Unternehmen ihren Ankündigungen auch entsprechende Taten folgen lassen. Das Ergebnis: meist nicht. Kein europäisches Unternehmen hat es laut „Handelsblatt“ in die oberste Gruppe mit hoher Integrität geschafft. Nur ein Unternehmen – eine dänische Reederei – erreicht die Gruppe mit passabler Integrität. Eine weitere Studie – veröffentlicht von der Unternehmensberatung Oliver Wyman und der Non-Profit-Organisation Carbon Disclosure Project (CDP) – kommt zu ähnlich ernüchternden Ergebnissen. Demnach behauptet zwar die Hälfte der europäischen Unternehmen, einen Plan zu haben, wie sie auf das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens hinarbeiten möchten. Aber nur fünf Prozent können auf konkrete Schritte verweisen, um dieses Vorhaben auf den Weg zu bringen.
Mit der Aufgabe, ihr Nachhaltigkeitsmanagement neu zu denken und ihr Nachhaltigkeitsreporting schlüssig aufzustellen, stehen mittelständische Unternehmen also keineswegs allein da. Doch was ist der Schlüssel? Wie wird aus der vermeintlichen Pflichtübung im Kontext der CSRD ein sinnvolles Projekt, von dem das Unternehmen selbst und die Öffentlichkeit profitieren? Entscheidend, davon bin ich überzeugt, ist die Haltung.
Zu bedenken ist, dass die Berichterstattung Jahr für Jahr abbilden wird, wie sich ein Unternehmen in den unausweichlichen ökologischen und gesellschaftlichen Wandel des 21. Jahrhunderts einfügt, welche Positionen es vertritt und welchen Beitrag es zu leisten bereit und in der Lage ist. Unternehmen, die das Reporting von Beginn an als Chance und als wirksames Instrument für die anstehenden Veränderungsprozesse auffassen, werden den größten Nutzen daraus ziehen.
Im Idealfall kommt der CSRD-Bericht einer Selbstverpflichtung gleich, deren Ziele automatisch in die Unternehmenssteuerung und in die Managementsysteme einfließen. Und selbst wenn ein Unternehmen den eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden kann, löst die Mechanik der CSRD wertvolle Lernkurven aus. In den Berichten muss schließlich begründet werden, warum Nachhaltigkeitsziele nicht erreicht werden, und wie im folgenden Berichtsjahr Abhilfe geschaffen werden soll.
Datenerhebung als Flaschenhals
Die CSRD lässt sich mit einem Marathon vergleichen. Natürlich ist der Lauf das Ziel. Aber dass man an den Start gehen und die rund 42,2 Kilometer absolvieren kann, ist letztlich das Produkt aus all der Arbeit und den langen Trainingssessions zuvor. Wer einem guten Trainingsplan folgt, läuft mit dem Startschuss einfach los. Mit dem Nachhaltigkeitsbericht verhält es sich im Idealfall nicht anders. Ein sorgfältig implementiertes Nachhaltigkeitsmanagement lässt den Report zum jeweiligen Stichtag, etwas überspitzt gesagt, aus den Systemen purzeln. Anders gesagt: Der Report wird zu einem Nebenprodukt der Kultur und des unternehmerischen Selbstverständnisses.
Als größte Hürde erweist sich für viele Unternehmen, im Vorfeld und in kurzer Zeit ein adäquates Datenmanagement aufzustellen. Hier trifft man trotz aller Fortschritte in der Digitalisierung, die in den vergangenen Jahren verzeichnet wurden, auf IT-Landschaften, die auf die notwendige Effizienz nicht ausgerichtet sind. Der Flaschenhals ist meist die Datenerhebung.
In vielen Wachstums- und Akquiseprozessen der Vergangenheit wurden Nachhaltigkeitsdaten meist nicht mitgedacht, weil es zum Beispiel lange Zeit nicht notwendig erschien, Diversitätsaspekte oder Wasserverbräuche zu messen. Das sind typische Berichtspunkte, die in vielen Unternehmen nicht mit Zahlen im System hinterlegt sind. Nicht zuletzt gibt es in international operierenden Unternehmen Handlungsfelder, die das Gleiche meinen, aber aufgrund der jeweiligen Gesetzeslage anders erfasst werden: So verfügen Niederlassungen in den USA zum Beispiel meist über lückenlose Statistiken zu den Fehlzeiten durch Arbeitsunfälle, während diese in Deutschland in der Regel erst ab einer Abwesenheit von drei Tagen systemisch erfasst werden.
„Die CSRD lässt sich mit einem Marathon vergleichen. Natürlich ist der Lauf das Ziel. Aber dass man an den Start gehen und die rund 42,2 Kilometer absolvieren kann, ist letztlich das Produkt aus all der Arbeit und den langen Trainingssessions zuvor.“, so Marcel Agena.
Ein Jahr Vorlauf einplanen
Der erste Schritt auf dem Weg zum CSRD-Report ist immer eine systematische Bestandsaufnahme, bei der die Wesentlichkeitsanalyse eine herausragende Rolle spielt. Dabei werden – dem bereits erwähnten Leitgedanken der doppelten Wesentlichkeit folgend – die Einflüsse des Unternehmens auf die Umwelt sowie die Folgen externer Veränderungen auf das Unternehmen betrachtet.
Daran schließen sich weitere, grundlegende Fragen an: Hat jede Unternehmenseinheit oder jeder Standort des Unternehmens, die gleiche Vorstellung zum Thema Nachhaltigkeit oder besteht noch Diskussionsbedarf? Welche der wichtigen Themenfelder hat das Unternehmen in der Vergangenheit bereits bearbeitet sowie mit Messpunkten und Daten hinterlegt? Wo bestehen noch Lücken, und wie sind sie zu schließen? Welche Personalressourcen stellt das Unternehmen bereit, und wer trägt die Verantwortung? Wie funktionieren die Datenströme? Und bedarf es eventuell der Investitionen in eine spezielle Software? Die Praxis zeigt, dass viele Unternehmen für solch komplexe Aufgaben nach wie vor unter anderem Microsoft Excel nutzen. Ob darin die Zukunft liegt, darf zumindest infrage gestellt werden.
Zweifelsfrei brauchen die Unternehmen genügend Zeit für einen Testlauf. Sie sollten frühzeitig sicherstellen, dass alle benötigten Daten in der notwendigen Qualität erfasst werden, über die gesamte Organisation konsolidierfähig sind und einer externen Prüfung standhalten. Als Faustregel sollte man davon ausgehen, dass die Vorbereitung auf einen CSRD-Bericht ein Jahr in Anspruch nimmt.
Unternehmen, die für das Geschäftsjahr 2024 berichten müssen, sind natürlich im Vorteil. Sie haben bereits die NFRD absolviert und verfügen somit zum Teil schon über eine belastbare Struktur in ihrem Reporting. Allerdings stehen auch sie unter einem gewissen Zeitdruck, da eine Analyse nach doppelter Wesentlichkeit bislang nur von wenigen angewendet wurde und außerdem formell noch nicht alle Details für das Reporting geklärt sind. So steht die finale und vollständige Fassung der European Sustainability Reporting Standards (ERSRS), die die konkreten Inhalte eines CSRD-Berichts vorgeben, derzeit noch aus.
Das Netzwerk aktivieren
Alles in allem stellt die CSRD hohe Anforderungen an die gesamte Organisation, legt aber gleichzeitig die Basis für einen zukunftsgewandten Veränderungsprozess. Unternehmen bietet sich die Chance, die Wesentlichkeitsanalyse als strategischen Impuls zu interpretieren, Nachhaltigkeit umfassend in den Kategorien Umwelt, Soziales und Governance abzubilden und die Erkenntnisse in Kultur und Führung, Strukturen und Systeme einfließen zu lassen.
Den Verantwortlichen für das Reporting ist deshalb zu raten, sich intern gut zu vernetzen. Stakeholder aller Sparten und Standorte sowie der diversen Funktionsbereiche – von der IT über Compliance & Risikomanagement bis zu Business Strategy sowie Marketing und PR – können zum Gelingen beitragen. Die koordinierte Zusammenarbeit aller Beteiligten bietet die beste Gewähr, dass ein CSRD-Bericht nicht wie eine halbherzige Pflichtübung empfunden wird, sondern das Unternehmen datengestützt, überzeugend und öffentlichkeitswirksam positioniert.
Redaktionelle Unterstützung: Bettina Dornberg & Christoph Berdi (die „Identitätsstifter“)
NACHHALTIG WIRTSCHAFTEN
Unternehmen müssen mit konkretem Handeln jetzt der Nachhaltigkeitstransformation begegnen. Erfahren Sie von Nachhaltigkeitsexpertin Anja Failer, wie der schrittweise Wandel zum verantwortungsvollen Unternehmen gelingt.
Jetzt Paper downloaden!von Marcel Agena
Mar 7, 2023 11:16:31 AM