Wie selbstverständlich reden wir heute von Chief Financial Officers, den CFOs, wenn wir doch eigentlich kaufmännische Geschäftsführer meinen. Aber dafür gibt es eben im Englischen keinen wohlklingenden Begriff, und so stimmen wir in den internationalen Chor mit ein: Man arbeitet nicht in Vorstand oder Geschäftsführung, sondern auf C-Level, zusammen mit dem CEO, dem COO, dem CDO, dem CMO… und anderen. Den CFOs möchte ich zurufen: Vergesst das mit dem „F“ in eurer Berufsbezeichnung doch mal. Seid ihr wirklich ausschließlich für Finanzen verantwortlich, ist das euer gesamtes Wirkungsfeld, wie es einige Studien zeigen? Ich mag es kaum glauben. Und zumindest meine Erfahrung mit CFOs zeigt: In den meisten Fällen ist es auch nicht so.
In meinem Berater- und Unternehmeralltag begegne ich überwiegend Chief Financial Officers, die zwar so genannt werden, den Terminus selbst aber gar nicht nutzen. Dass der von mir initiierte Kreis, in dem wir uns seit Jahren regelmäßig zu übergreifenden Themen austauschen, ausgerechnet „CFO-Zirkel“ heißt, verbuche ich vor diesem Hintergrund als pragmatisch-feine Ironie. Die Teilnehmer verstehen sich jedenfalls als kaufmännische Geschäftsführer beziehungsweise kaufmännische Vorstände zumeist mittelständischer Unternehmen. Und unisono berichten sie von einem Selbstverständnis, das von einem hohen Verantwortungsgefühl weit über ihr Ressort hinaus geprägt ist.
Diese CFOs haben das bisherige, reaktiv-analytische Denken ihrer Zunft längst hinter sich gelassen. Sie befassen sich proaktiv und vorausschauend mit den Unternehmensthemen. Ja, sie reflektieren die gesamte Geschäftsentwicklung und avancieren mit ihrer Übersicht und ihren Detailkenntnissen zu Schutzpatronen der CEOs. Anders gesagt: Als Anwälte der betriebswirtschaftlichen Vernunft und Agenten des Change Managements vermindern sie die Zahl der Fehlentscheidungen und erhöhen die Zahl der Chancen.
Dr. Thomas M. Fischer ist Geschäftsführer bei Allfoye, Chairman des European Institute for Leadership and Transformation (ILT) und Beirat der Agenturgruppe brandcom. In seinem CFO-Netzwerk kommen seit mehr als 9 Jahren regelmäßig rund 80 Vorstände und Geschäftsführer großer mittelständischer Unternehmen zusammen, um sich auszutauschen und um voneinander zu lernen.
Ich bin überzeugt: Wenn wir über Wandel und Transformation in der Wirtschaft reden, dann kommt CFOs von diesem Schlage eine herausragende Bedeutung zu. Ihre Position ist prädestiniert dazu, von ihrem Kernsegment „Finance“ aus in konzentrischen Kreisen positiv auf das gesamte Unternehmen einzuwirken: auf die Führung, die Strategie, die Organisation und die Kultur. Und zwar mit hoher, zielführender Kompetenz, die sich zunehmend aus der Digitalisierung ihres Aufgabenfeldes speist. CFOs sind nicht Superwoman oder Superman, aber sie und ihre Mitarbeiter im Controlling können Daten lesen wie kaum jemand sonst in mittelständischen Unternehmen. „From Data to Value“ – das ist ihr neues Leistungsversprechen.
Der Aufbau von IT-Strukturen fällt seit langem auch in die Aufgabenbereiche der CFOs, insbesondere mit Blick auf das Enterprise Resource Planning (ERP). Man muss sich das manchmal bewusst machen: Das deutsche Vorzeigeunternehmen in diesem Feld, SAP, wurde bereits 1972 gegründet, mithin vor gut einem halben Jahrhundert. Die Position des CFOs hat sich über all diese Jahre parallel zur IT mitentwickelt, bis hin zum Status quo mit SAP S/4HANA. Und wenn wir, begleitet von leiser Zukunftsmusik, nach vorne schauen, wird das Potenzial der CFOs noch deutlicher:
Viele Unternehmen bauen ihre Datenarchitekturen rigoros um. Bisher isolierte Datensilos oder Data Warehouses lösen sich zunehmend in Data Lakes auf. In solchen „Datenseen“ fließen die Daten permanent zu und ab. Die intern gemessenen und erhobenen Daten verbinden sich mit externen Quellen wie sozialen Medien, Konjunkturprognosen oder Marktforschung. Im Feld der Business Intelligence vollzieht sich der Quantensprung zu zukunftsgewandten Business Analytics. „Predictive Forecasting“ heißt das neue Zauberwort. Im fortschrittlichsten Fall suchen Algorithmen – getrieben von Künstlicher Intelligenz und Maschinellem Lernen – automatisiert nach verborgenen Zusammenhängen, nach Warnhinweisen oder Chancen. Selbst feinste Signale in den Daten können in harte Businessinformationen verwandelt werden. Zugegeben, so klingt der Idealfall. Aber es steht außer Frage, dass sich den CFOs ein Füllhorn neuer, effizienter Analyse- und Prognosemöglichkeiten öffnet. Mit hoher Datenintelligenz können sie Ziele, Meilensteine und Szenarien für Geschäftsbereiche und -modelle viel genauer als bisher quantifizieren. Zwangsläufig gewinnen sie so einen größeren Einfluss auf die Steuerungsprozesse im Unternehmen.
Was bedeutet all das für den unternehmerischen Alltag? CFOs sind Trüffelsucher und Wachposten zugleich. Sie verfügen über ein Chancenradar und ein Frühwarnsystem. Als kongeniale Partner, vielleicht sogar als Primus inter Pares, unterstützen sie ihre Kollegen im Vorstands- oder Geschäftsführungsteam. Sie stärken entscheidend die unternehmerische Resilienz, und zwar nicht nur, weil sie Investments und Projekte im Kontext der fundamentalen Finanzkennziffern und -pläne beurteilten. Vielmehr sind die CFOs geradezu prädestiniert dazu, die Agilität einer Organisation gezielt zu steigern. Das mag überraschend klingen. Aber schließlich darf Agilität nicht mit Chaos und Anarchie verwechselt werden. Agilität erfordert strukturierte Prozesse, die wiederum in den Datensystemen und IT-Strukturen der CFOs adäquat abgebildet werden können. Hier zeigt sich: CFOs, die ihren Beruf im Sinne eines kaufmännischen Geschäftsführers umfassend ausüben, sollten den kulturellen Wandel in den Unternehmen aktiv vorantrieben. Sie können in die gesamte Steuerungslogik eingreifen, neue Incentive-Systeme entwickeln und, falls notwendig, auch hart intervenieren.
Die Realität sieht heute vielerorts noch anders aus. Bei vielen CFOs hapert es nicht am Veränderungswillen, sondern manchen Unternehmen fehlt es in ihren Prozessen und Systemen an digitaler Reife. Den CFOs bleibt nichts anderes übrig, als sich am eigenen Schopfe aus solcher Trägheit ziehen und die Investitionen in eine progressive, integrierte Datenarchitektur voranzutreiben. Sie haben gewichtige Argumente auf ihrer Seite: Anders als bisher, als sie vor allem mit fall- und projektbezogenen Auswertungen ihre Kollegen unterstützt haben, können sie nun durch permanente und vorausschauende Analysen und Prognosen für deutlich verbesserte Entscheidungsparameter sorgen.
Mit etwas weniger Fokus auf das „F” und einem umfassenden Selbstverständnis als kaufmännische Geschäftsführer avancieren die CFOs zu Business Leadern für die gesamte Organisation.
Redaktionelle Unterstützung: Bettina Dornberg & Christoph Berdi (die „Identitätsstifter“)