Die Zeit ist längst reif für die Circular Economy, aber leider reden wir in Deutschland nur über Kreislaufwirtschaft. Mögen die englische und die deutsche Bezeichnung eigentlich dasselbe meinen – letztlich stimmen sie nur dem Wortsinn nach überein, aber nicht im Kontext des politisch-wirtschaftlichen Diskurses. Was hierzulande unter dem Schlagwort Kreislaufwirtschaft diskutiert wird, ist meist durch das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) geprägt und beschränkt sich somit weitgehend auf das Recycling und den möglichst umweltfreundlichen Umgang mit Abfällen. Dabei handelt es sich jedoch nur um ein Handlungsfeld in einem wesentlich größeren Gesamtkonzept zirkulären Handelns, worauf auch das Umweltbundesamt in einem Positionspapier hinweist.
Im April 2023, und damit reichlich spät, hat die Bundesregierung eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie auf den Weg gebracht, die diesem umfassenden Charakter Rechnung tragen soll. Man muss in Zukunft also genau hinsehen und -hören, von welchem Framework die Rede ist: „lediglich“ von dem Gesetz mit seinen Prioritäten auf Vermeidung und Verwertung von Abfällen oder von der noch zu entwickelnden Gesamtstrategie – hin zum notwendigen Systemwechsel und einer Wirtschaft, die wirklich ressourcenschonend ist. Davon sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Nur 13 Prozent der wiederverwertbaren Ressourcen werden hierzulande auch genutzt; die Niederlande als Musterschülerin der EU schafft 30 Prozent.
Sprechen wir um der Klarheit willen also besser über die Circular Economy als Fundament für ebenso nachhaltige wie strategische Initiativen, die mittelständische Unternehmen besser jetzt als später auf den Weg bringen sollten. Einer Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft zufolge verfügt nur jedes vierte Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe über eine ganzheitlich zirkuläre Strategie, ein Drittel hat sich des Themas bislang überhaupt noch nicht angenommen. Die Ergebnisse erzählen aber auch Ermutigendes: Industrieunternehmen, die zumindest eine von drei möglichen Basisstrategien nutzen – nämlich Kreisläufe schließen, Kreisläufe verlängern oder Kreisläufe ermöglichen/schaffen – wirtschaften erfolgreicher als ihre Wettbewerber mit linearer Verwertung der eingesetzten Stoffe. Wenig überraschend, siehe oben, stehen bei den Unternehmen derzeit noch Wiederverwertung und -verwendung sowie eine höhere Autonomie in der Rohstoffversorgung im Fokus, womit die Potenziale der Circular Economy eben nicht annähernd ausgereizt werden.
Das große Ziel einer Circular Economy lautet, möglichst wenig natürliche Ressourcen des Planeten zu verbrauchen, Roh- wie Wertstoffe möglichst lange im Kreislauf von Wirtschaft und Konsum zu halten sowie die Lebensdauer von Produkten und Komponenten zu verlängern. Die Menschheit lebt diesbezüglich nicht nur über ihre Verhältnisse, sondern intensiviert überdies den Raubbau. Den Vereinten Nationen zufolge stieg der Materialeinsatz in diesem Jahrhundert global um 65 Prozent auf 95,1 Milliarden Tonnen pro Jahr, verbunden übrigens mit 70 Prozent der weltweiten Emissionen an Treibhausgasen. Nur 7,2 Prozent des verbrauchten Materials gelangt wieder in den Wirtschaftskreislauf.
Wirtschaftlich betrachtet, liegt in diesem Manko eine riesige Ressource. Es existiert eine Unmenge von Wertstoffen und Materialen, auf die Unternehmen zurückgreifen könnten, ohne die Rohstoffreserven der Erde erneut zu belasten. So bietet die Circular Economy den Unternehmen viele Chancen, durch Wiederverwertung Kosten zu senken, sich unabhängiger von globalen Lieferketten aufzustellen, der Ausbeutung von Menschen bei der Gewinnung kostbarer Rohstoffe entgegenzuwirken sowie zukunftsweisende, zirkuläre Geschäftsmodelle zu entwickeln. Nicht zuletzt helfen zirkuläre Konzepte, den Energieverbrauch und die CO₂-Emissionen herunterzufahren.
„Die Zeit ist längst reif für die Circular Economy, aber leider reden wir in Deutschland nur über Kreislaufwirtschaft. Mögen die englische und die deutsche Bezeichnung eigentlich dasselbe meinen – letztlich stimmen sie nur dem Wortsinn nach überein, aber nicht im Kontext des politisch-wirtschaftlichen Diskurses.“, so Anja Failer.
Circular Economy beginnt mit dem Produktdesign, das von Beginn an die Wiederverwertung aller Wertstoffe oder einzelner Komponenten sowie Reparatur und Re-Use als Verlängerungen des Lebenszyklus mitdenkt. Das Ideal drückt sich im Designprinzip „Cradle-to-Cradle“, von „Wiege zu Wiege“ oder besser von „Ursprung zu Ursprung“, aus. Es wurde vor gut 25 Jahren vom deutschen Chemiker Michael Braungart und dem US-amerikanischen Architekten William McDonough erdacht und wird in Deutschland von der Berliner NGO „Cradle to Cradle“ vertreten. Das Ziel ist, Verbrauchsprodukte wie Reinigungsmittel oder Kosmetika zu 100 Prozent aus biologisch abbaubaren Stoffen herzustellen („Biosphäre“). Gebrauchsgüter hingegen sollten sortenrein in ihre Bestandteile zerlegt werden können, damit aus recycelten Materialien der „Nährstoff“ – schöner Begriff! – für etwas Neues werden kann („Technosphäre“).
Von den politischen Initiativen auf Bundes- und EU-Ebene steht zu erwarten, dass sie förderliche rechtliche Rahmenbedingungen schaffen und im internationalen Austausch von Forschung und Praxis valides Wissen über die Erfolgsaussichten zirkulärer Konzepte auf den Tisch legen. Darauf können Unternehmen aber nicht warten. In der Circular Economy schlägt den Pionieren die Stunde. Nun würde es, gerade in der aktuell aus bekannten Gründen herausfordernden und belasteten Situation der Wirtschaft, manches Unternehmen und seine Mitarbeitenden schlicht überfordern, sofort das ganz große Rad zu drehen. Die Devise lautet daher vielmehr: einfach anfangen, Circular Economy in Teilbereichen ausprobieren, möglichst viel lernen und dann die nächsten Schritte gehen.
Ein interessanter Anknüpfungspunkt für zirkuläre Konzepte sind Produkt-Service-Systeme (PSS), hybride Leistungsbündel mit einem hohen Dienstleistungsanteil also, wie sie von vielen Unternehmen bereits angeboten werden. „Pay per Use“-Modelle gehören dazu, bei denen Kunden beispielsweise nicht eine Maschine kaufen, sondern nur die tatsächlich genutzte Produktionsleistung gezahlt wird. Auch Leasing-, Sharing- und Mietmodelle zählen zu den PPS, deren Potenzial für die Circular Economy noch gehoben werden will. Diese sogenannten „ergebnisorientierten“ PSS gelten als besonders vielversprechend, weil sich Anreize für einen geringeren Verbrauch von Ressourcen einbauen lassen. Solche PSS-Konzepte steigern potenziell die Ressourceneffizienz, verlängern die Produktlebensdauer, optimieren die Nutzung von Produkten und Wiederaufbereitungsstrategien.
Als „Enabler“ für zirkuläre Modelle sind die positiven Effekte der Digitalisierung zu betonen. Empirisch ist längst gesichert, dass hoch digitalisierte Unternehmen viel mehr Material einsparen als wenig oder gar nicht digitalisierte Unternehmen. Darauf weist auch das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie hin und betont zudem, dass die Circular Economy offene, kollaborative Dateninfrastrukturen sowie industrieübergreifende Informationssysteme benötige. Für die Wiederverwendung von Produkten und Materialien ist es wichtig, über Verfügbarkeit und Passung Bescheid zu wissen, damit die Prozesse unserer Wirtschaft von recycelten Ressourcen bedient werden können.
Grundsätzlich ist Experimentierfreude gefragt, die etwa durch den Aufbau von Reallaboren gefördert werden kann. Damit gemeint sind Test- und Innovationsumgebungen, in denen neue Technologien, Produkte oder Services unter möglichst realistischen Bedingungen gemeinsam mit der Zielgruppe getestet und entwickelt werden. Dabei können Kooperationen mit Hochschulen und Forschungsinstituten neue Wege weisen und die Zahl der Optionen erhöhen.
Der Schlüssel zum Erfolg kann aber auch in der Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen liegen. So lässt sich vertikal mit Lieferanten, Partnern und Kunden ausloten, wie sich zirkuläre Konzepte übergreifend in der Lieferkette verwirklichen lassen. Horizontal, also mit Wettbewerben aus der Branche und ihren Verbänden, können grundlegende Fragen zu möglichen Stoffkreisläufen erforscht und evaluiert werden.
Nicht zuletzt lohnt sich der inspirierende Blick in die lebendige deutsche Start-up-Szene. Ob für die Bauwirtschaft oder die Textilindustrie: Forschungs- und Purpose-getriebene Gründer:innen erfinden längst die zirkuläre Zukunft, wie die entsprechenden Interviews aus unserem Videoblog „Startup meets Tom“ zeigen.
Wie so oft bei den aktuellen Herausforderungen der Unternehmen liegt der Schlüssel zum Erfolg bei der Circular Economy ebenso im Mindset und in der Kultur. Menschen und Organisationen sind es einfach gewohnt, in linearen Mustern zu denken. Damit enden wertvolle Materialen eines Tages auf einer Deponie oder in einer Verbrennungsanlage. Es ist nicht leicht, diese Disposition zu durchbrechen. Die gesamte deutsche Wirtschaft ist schließlich „linear“ groß geworden. Absatzwirtschaft nannte man das: Ein Produkt wurde erdacht, produziert und vertrieben. Und es galt, um es pointiert zu sagen, die Devise: nach mir die Sintflut. Allmählich hat man die Kundenperspektive hinzugenommen (Marketing).
Der spätestens jetzt fällige Transformationsschritt ist, die Ressourcen unseres gestressten Planeten nicht mehr auszubeuten, sondern systemisch zu schützen. Damit kann jeder im Privatleben beginnen und einmal in seine Schubladen schauen. Verbergen sich dort nicht noch ausrangierte Smartphones, Tablets und Laptops? Laut Branchenverband Bitkom warten in deutschen Haushalten noch 300 Millionen unnütz gewordene Geräte mit all ihren wertvollen Rohstoffen, recyclebaren Kunststoffanteilen und seltenen Erden darauf, der Circular Economy und damit den Nutzungs- und Wertstoffkreisläufen wieder zugeführt zu werden.
Redaktionelle Unterstützung: Bettina Dornberg & Christoph Berdi (die „Identitätsstifter“)