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Hybride Teams wirksam führen

Geschrieben von Max Görner | May 20, 2021 6:50:02 AM

Seit Beginn der Covid-19-Pandemie durchläuft der deutsche Mittelstand – vom Charakter her ebenso innovativ wie pragmatisch – eine steile Lernkurve. Unter dem extremen Druck der Schutzmaßnahmen haben viele Unternehmen sehr schnell dezentrale, digital unterstützte Formen der Zusammenarbeit ermöglicht. Selbst Firmen, die zuvor behäbig unterwegs waren, haben Remote und Mobile Work produktiv mit den Arbeitswelten in den Zentralen, Niederlassungen und Werken verknüpft. Insbesondere in den Wissens- und Verwaltungsbereichen erfolgte eine dynamische Neuorganisation.

In diesem Kontext erscheint eines jedoch verwunderlich: Die Aufbauorganisation der Unternehmen, also das Organigramm, hat sich gegenüber der Vor-Corona-Zeit kaum verändert. Wie passt das zusammen? Wo haben sich unternehmerischer Stress, das Hin und Her im politischen Krisenmanagement sowie das teils erratische Marktgeschehen tatsächlich ausgewirkt? Die Antwort lautet: bislang einzig und allein bei den Mitarbeitern. Seit über einem Jahr werden deren Arbeitsumfelder und Spielräume kontinuierlich neu interpretiert und angepasst, um die Unternehmen am Leben zu erhalten. Je nach Lage und geltenden Schutzbestimmungen wird Verantwortung zugewiesen und genommen, werden Home-Office-Regelungen erweitert oder wieder eingeschränkt. So haben sich – in vielfältigen Konstellationen – hybride und auch komplett virtuelle Teams gebildet. Sie sind für viele Menschen mittlerweile berufliche Realität und werden künftig definitiv zum „New Normal“ gehören.

An den Mitarbeitern sind die ungewöhnlichen, teils auch belastenden Erfahrungen seit dem Frühjahr 2020 selbstverständlich nicht spurlos vorübergegangenen. Viele haben in Lockdown und Home Office ihre berufliche Zukunft reflektiert und sich, wenn auch unbewusst, einen Leitsatz der „New Work“-Bewegung zu eigen gemacht: mehr wollen, weniger müssen! Anders gesagt: Sie legen tendenziell mehr Wert auf Freiheit und Eigenverantwortung. Gleichzeitig haben sich in vielen hybriden Teams, beschleunigt durch die Technologie, fast automatisch agile Methoden etabliert, mit deren Hilfe die Zusammenarbeit effektiver zu koordinieren ist.

Für die Unternehmen birgt das eine große Herausforderung, denn sie müssen auf kultureller und organisatorischer Ebene nachziehen. Aber ihnen bietet sich gleichzeitig eine Riesenchance: Sie können jetzt gezielt an die intrinsische Motivation ihrer Belegschaft anknüpfen. Dass sich auf diesem Wege die Zufriedenheit und Produktivität nachhaltig steigern lassen, steht außer Frage. Aber es handelt sich eben auch keineswegs um einen Selbstläufer.

Die intrinsische Motivation fördern

Hybride Teams konfrontieren ihre Führungskräfte mit neuen, individuell geprägten Fragestellungen. So fühlt sich ein Teil der Mitarbeiter in der Vor-Ort-Struktur des Firmenbüros am wohlsten. Sie brauchen das Gespräch von Angesicht zu Angesicht und den informellen Austausch. Andere schätzen die Distanz und die Freiheit des Home Office, eventuell sogar den Abstand zu den Kollegen, und verzichten dankend auf die Fahrt zum Arbeitsplatz. Und einige hätten gerne das Beste aus beiden Welten, möchte einige Tage zu Hause und einige Tage in der Firma arbeiten. Hinter all diesen Vorlieben liegen persönliche Bedürfnisse nach Status und Sicherheit, nach Autonomie und Verbundenheit, aber auch nach Fairness.

Um die Motivation der Mitarbeiter aufrechtzuerhalten oder gar zu steigern, müssen Führungskräfte die Bedürfnisse des Einzelnen adressieren und parallel dazu die Teamstruktur ausbalancieren. Eine anspruchsvolle Aufgabe, die sie im unternehmerischen Alltag nur mit einem geeigneten Modell bewältigen können. Bewährt hat sich beispielsweise, die Teammitglieder analog zu ihrer jeweiligen Bedürfnisstruktur in drei Cluster zu differenzieren:

  1. Menschenorientierung: Für diese Mitarbeiter ist die Beziehung zu ihren Vorgesetzten und Kollegen von herausragender Bedeutung. Sie erwarten von ihren Führungskräften, dass auch in verteilten Arbeitsstrukturen das Miteinander und die Kontakte nicht zu kurz kommen.

  2. Ergebnisorientierung: Diese Mitarbeiter schätzen klare Ansagen, welcher Output von ihnen erwartet wird und welche Ressourcen ihnen dafür zur Verfügung stehen. Sie brauchen klare Zielvorgaben und präzise Zeitkorridore.

  3. Aufgabenorientierung: Diese Mitarbeiter sind offen für neue Ansätze und eher motiviert, wenn noch nicht ganz klar sein sollte, wohin sich ein Projekt entwickeln wird. Hybride und agile Umfelder entsprechen ihrer Arbeitsweise. Ganz nach dem Motto: Der Weg ist das Ziel.

Das Prinzip der Ambidextrie im Führungskontext: Beidhändigkeit erlernen.
Grafikerstellung: Allfoye Managementberatung GmbH mit Unterstützung durch Veit Quandt.

In dieser groben Zuordnung wird noch einmal deutlich: Es gibt kein Patentrezept für die Leitung hybrider Teams. Führungskräfte müssen sich dieser Komplexität immer bewusst sein und ihr mit Flexibilität begegnen. Nur so gelingt es, hybride Teams gleichzeitig ebenso kontext- wie personenbezogen zu führen. Dafür ist eine Kompetenz unabdingbar, die sich mit einer Analogie aus der Biologie treffend illustrieren lässt: Wenn jemand mit beiden Händen gleichermaßen geschickt ist – knapp zehn Prozent der Menschen besitzen diese angeborene Fähigkeit – spricht man von Ambidextrie. Genau dazu müssen Führungskräfte heutzutage in der Lage sein: beidhändig agieren zu können. Mit der einen Hand sind sie ganz Leader: Sie ermutigen ihre Mitarbeiter zu Kreativität und Innovation, steigern deren Selbstverantwortung, fördern und moderieren Lernprozesse. Mit der anderen Hand sind sie ganz Manager: Sie sichern die Leistungsfähigkeit des Teams, schaffen effiziente Strukturen, teilen Ressourcen zu, behalten die Effizienz im Blick und führen Verhandlungen.

Hybride Teams: Rituale gegen die digitale Einsamkeit

In der Praxis sind Führungskräfte immer Leader und Manager zugleich. „Beidhändig“ bedeutet deshalb keineswegs, je nach Situation mal die eine und mal die andere Hand zu nutzen. Vielmehr müssen Führungskräfte mit ihren Methoden und Instrumenten permanent jonglieren, um die Bedürfnisse der Einzelnen und die Dynamik der Gruppe in Einklang zu bringen. Einen besonders geeigneten Ansatzpunkt dafür bieten regelmäßige Reflexionsrunden. Anders als übliche Projektreviews stellt dieses Format die Menschen und die Qualität der Zusammenarbeit in den Mittelpunkt. Alle zwei, spätestens alle vier Wochen sollten sich Mitarbeiter und Führungskräfte zu diesem Thema austauschen und gegebenenfalls Verbesserungen vereinbaren. In solchen Reflexionsrunden entsteht Vertrauen, jeder darf seine Bedürfnisse artikulieren und Frust kann sich gar nicht erst aufstauen.

Nicht nur Mitarbeiter benötigen solche Rituale der Gemeinsamkeit – das Phänomen der digitalen Einsamkeit ist nicht zu unterschätzen! –, sondern auch Führungskräfte. Je mehr Gelegenheiten zum persönlichen Gespräch geschaffen werden, desto besser können sie die Stimmung und den Grad der Zufriedenheit im Team einschätzen.

Impulse für Rituale gegen die Einsamkeit in hybriden Teams.
Grafikerstellung: Allfoye Managementberatung GmbH mit Unterstützung durch Veit Quandt.

Der Fantasie, wie ein ritualisiertes Miteinander gestaltet werden kann, sind kaum Grenzen gesetzt: Der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens lädt beispielsweise die gesamte Organisation an jedem Montagmorgen zu einem virtuellen Kaffeetrinken ein. Auch regelmäßige Skill Sharing Sessions, in denen Erfahrungen, Kenntnisse und Tipps ausgetauscht werden, haben sich als sinnvoll erwiesen. Gleiches gilt für Visionsrunden, in denen die Teams gemeinsam eine mittel- und langfristige Perspektive entwickeln.

Bedeutsam ist es außerdem, die Prozesse des hybriden Teams auch IT-seitig abzubilden. Die verteilte Arbeitsorganisation erfordert Struktur und Transparenz, weil sich die Menschen an unterschiedlichen Orten aufhalten und sich zu verschiedenen Zeiten mit ihren Aufgaben beschäftigen. An einem digitalen Kollaborationstool, zum Beispiel dem Planner in Microsoft Teams, führt damit kein Weg vorbei. Führungskräften bietet eine solche Software zudem die Möglichkeit, die verschiedenen Charaktere im Team gezielt anzusprechen. Egal, ob Meetings real oder virtuell stattfinden – mit einem Planner als Grundlage lassen sich die Mitarbeiter bedürfnisorientiert einbinden. Ergebnisorientierten Kollegen reicht es völlig, die übergeordneten Themen anzusprechen und ein kurzes Update zum Stand der Arbeiten zu geben. Mit jenen Kollegen, die aufgabenorientiert den Weg als Ziel betrachten, können Führungskräfte anhand des Planungstools tiefer in die Materie einsteigen.

Nicht zuletzt müssen sich Führungskräfte darüber im Klaren sein, dass sich innerhalb hybrider Teams die Kommunikation verändert. Smileys und andere Emoticons liegen im Trend. Das kann man mögen oder nicht. Aber diese kleinen Gesten der Nähe sind offenbar für viele Menschen, die nur über die Technik verbunden sind, von einiger Bedeutung. Führungskräfte sollten daher wohlwollend darüber nachdenken, Emoticons in der digitalen Kommunikation zuzulassen und sie auch selbst zu nutzen. Tendenziell, so unsere Erfahrung, wächst die Akzeptanz dieser Emotionstupfer.

 

Redaktionelle Unterstützung: Bettina Dornberg & Christoph Berdi (die „Identitätsstifter“)