Ich bin Psychologin, Senior Consultant bei der Allfoye Managementberatung und, so unwahrscheinlich das lange für mich selbst klang, Gründerin. Erst spät während meines Studiums kam mir diese Option in den Sinn. Auslöser waren inspirierende Gespräche mit Kommilitonen und Freunden über Purpose und Sinn, Gleichberechtigung und Genderfragen in der Arbeitswelt, Transformation und Change. Meine Themen! Ich glaube, dass es vielen jungen Unternehmern so geht wie mir: Am Anfang steht nicht der Wunsch nach einem eigenen Business, sondern die Begeisterung für eine Idee. Und die größte Herausforderung für viele Gründer ist vielleicht, ihren Idealismus mit den betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten in Einklang zu bringen.
Bei meiner ersten Gründung handelt es sich um ein integriertes Angebot zu körperlicher und mentaler Fitness für gestresste Großstädter. Wir hatten einen guten Start, aber dann brach die Coronapandemie aus und unsere Trainings- und Coachingangebote waren nicht mehr zu realisieren. Klar, auch digital ließen und lassen sich einige Kursangebote durchziehen, aber das Geschäftsvolumen ist nicht annähernd so tragfähig wie in der „realen“ Welt. Ich habe mich deshalb entschieden, hauptberuflich in die Beratung zu gehen. In den Projekten kann ich mein Wissen und meine Leidenschaft für die Themen um Kommunikation, Kultur und Diversität gezielt einsetzen. Aber so ganz lässt mich mein Gründer-Gen nicht in los und ich arbeite mit einer Freundin an einem Angebot, das, diesmal von vornherein als digitales Coaching konzipiert, Frauen in Veränderungsprozessen unterstützt.
Im Folgenden teile ich meine Erlebnisse und Erkenntnisse aus dem Gründungsprozess, um Gründern praxiserprobte Erfahrungswerte an die Hand zu geben. Und auch, um ein paar Merkwürdigkeiten anzusprechen, denen man als Jungunternehmer hierzulande begegnet. Natürlich möchte ich mit diesen Zeilen Mut machen. Mit dem richtigen Mindset und Selbstverständnis lässt sich nämlich viel erreichen.
Viele Startups entstehen nicht am Reißbrett und aus einer abstrakten Überlegung heraus, welches Geschäftsmodell sich lohnen könnte. Sie sind vielmehr sehr persönlich, vielleicht sogar Folge eines lang gehegten Traums. Und Träume verdienen es, dass sie grenzenlos und ohne Schere im Kopf gedacht werden. So bin ich an die Sache herangegangen: erst einmal die Idee ausgestalten, ohne von vornherein an Hindernisse und Hürden zu denken. Aber jede noch so großartig klingende Idee benötigt einen Realitätscheck. Und an dieser Stelle, das habe ich in meinem Umfeld beobachten können, scheitern schon die ersten Projekte. Gründer müssen umschalten können, vom Begeisterungs- in den Realitätsmodus. Kritische Fragen an die eigene Idee müssen permanent und möglichst ehrlich beantwortet sein: Bedient mein Konzept echte Kundenbedürfnisse? Wie sehen Markt und Wettbewerb aus? Ist das Geschäftsmodell skalierbar und attraktiv für Geldgeber?
Gar nicht genug Zeit und Mühe kann man als Gründer darauf verwenden, den (Wunsch-)Kunden zu verstehen. „Customer Centricity“ ist kein leeres Schlagwort, sondern ein absolutes Muss. Dazu gehört, sich auf wenige potenziell vielversprechende Kundengruppen zu fokussieren und aussagekräftige Personas zu entwickeln. Der Versuchung, es allen recht zu machen (und damit das Angebot zu verwässern), dürfen Gründer nicht erliegen. Wir haben uns genau angesehen, welche Probleme unsere anvisierten Kunden haben und welche Kompetenzen wir dem entgegensetzen können. Und das nicht nur einmal, sondern wieder und wieder aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen Variablen. Was gewinnen die Kunden durch uns? Und, das ist Schritt zwei, wie und mit welchen Werten setzen wir unser Konzept um? In dieser Phase bewähren sich agile Methoden. Es ist erstaunlich, wie weit man kommt, wenn man sich am Tag 30 Minuten mit einer Fragestellung befasst, und wie schnell man bei den ersten Prototypen landet. Übrigens: Das Double-Diamond-Modell aus dem Design Thinking ist in dieser Phase sehr effektiv.
Gründer oder Gründerin eines Startups zu sein, das ist auch ein Lebensgefühl. Es passt zum Zeitgeist, gerade wenn man, wie ich, in einer pulsierenden Großstadt wie München unterwegs ist. Aber als Gründer ist man eben auch Unternehmer, mit all den langweiligen Notwendigkeiten und Pflichten, die damit einhergehen. Das Business Modell muss ständig neu und ehrlich bewertet werden. Marktanalyse und Customer Journey, Marketing und Vertrieb, Finanzierung und Steuern, Rechtliches und Versicherungen – all das will bedacht und möglichst professionell ausgeführt werden. Eine gute Planung ist dafür unerlässlich. Zwar kann eine Startup-Phase schon mal chaotisch werden, das liegt vielleicht in der Natur der Sache. Aber es geht beim Unternehmertum darum, die richtigen Dinge richtig und zum richtigen Zeitpunkt zu erledigen. Diese unternehmerische Seite darf der kreativen keineswegs untergeordnet werden, auch wenn sie weniger Freude macht und von den Rahmenbedingungen nicht gerade begünstigt wird.
Nora Zallmann fällt mit ihren Startup-Ideen durchs Raster: „Förderung und Beratung der öffentlichen Hand, Kapitalgeber und Business Angels, Inkubatoren und Acceleratoren gibt es zwar viele, aber die meisten sind auf digitale Geschäftsmodelle ausgerichtet.“ Den Blick auch auf die Förderung von Startups zu legen, die Unternehmen für den Weg des Change und der Transformation befähigen – ihr dringender Appell an Mittelständler und Politik.
Als Gründer fragt man sich schon hin und wieder, was das Gerede der Politik vom Startup-Standort Deutschland und all den damit verbundenen, hochfliegenden Plänen wirklich wert ist. Wenn man von Staaten liest, in denen man Unternehmen komplett digital und innerhalb weniger Stunden gründen kann, fühlt sich das wie eine Märchenstunde an. In Deutschland ist man mit überbordender, zäher und noch dazu analoger Bürokratie konfrontiert. Ein Dschungel an Formalitäten, für das 21. Jahrhundert unfassbare Prozesse, bei denen Online-Formulare mit der Post zurückgeschickt wurden. Eine Gründungsphase, die sich auch unter größtem Einsatz nicht unter zwei bis drei Monate drücken lässt – von Unterstützung für die Gründerszene ist wenig zu spüren. Wo sind Digitalisierung und E-Government, wenn ein Amt alle Formulare und Unterlagen in gedruckter Form erwartet? Vielleicht, und das verbinde ich mit einem flammenden Appell an die wahrscheinliche neue Ampel-Bundesregierung, wendet sich hier ja etwas zum Guten. Die Herausforderung für Gründer ist: Man muss das alles ernst nehmen und am Ball bleiben. Auch, wenn es schwerfällt.
Mit meinen Startup-Ideen falle ich durchs Raster. Förderung und Beratung der öffentlichen Hand, Kapitalgeber und Business Angels, Inkubatoren und Acceleratoren gibt es zwar viele, aber die meisten sind auf digitale Geschäftsmodelle ausgerichtet. Mich interessieren aber die Soft Skills, die Themen rund um Kultur, Kommunikation und Mindset, die für die Menschen und für die Unternehmen immer wichtiger werden.
Vielleicht kann ich mit diesem Beitrag gerade die mittelständischen Unternehmen animieren, sich in diesem für sie so wichtigen Handlungsfeld stärker als Kooperationspartner oder mit Mentorenmodellen zu engagieren. Gründer wie ich helfen nicht mit, die Geschäftsmodelle der Unternehmen zu modernisieren und neue, digitale Pfade zum Kunden zu finden, aber wir befähigen ihre Organisation für diesen Weg des Change und der Transformation.
Auch wenn typische Startup-Unterstützung nicht leicht zu erreichen ist, sollte man auf Hilfe nicht verzichten. Ich habe Familie und Freunde aktiviert und mit Fragen gelöchert. Und ich bin dankbar für die Beratungsangebote an den Hochschulen, die man unbedingt in Anspruch nehmen sollte. Im Idealfall ist damit etwas finanzielle Unterstützung verbunden, so gut wie immer aber Coaching, Workshops und Networking. Nicht zuletzt sind diese Plattformen auch ein öffentlicher Raum, in dem man seine Geschäftsidee verproben und seine Präsentations- und Argumentationsfähigkeiten schulen kann. Für mich war das Strascheg Center for Entrepreneurship in München wichtig. Es gilt das Motto: Fragen kostet nichts. Nicht zu fragen, kostet vielleicht die Existenz.
Wer als Gründer ein paar Grundsätze beherzigt, kann vielleicht einige Fallen umgehen, in denen Startups immer wieder scheitern – zu wenig Marktorientierung, zu wenig Realismus, zu viel Wettbewerb, zu wenig Kapital. Studien zum „Fail“ von Startups, zum Beispiel von CB Insights, fördern seit Jahren ähnliche Ergebnisse zutage. Und auch die Storys auf den Fuck up-Nights gescheiterter Gründer ähneln sich oft. Das heißt: Jungunternehmer wiederholen in schöner Regelmäßigkeit Fehler, die andere schon gemacht haben. Das muss doch nicht sein!
Redaktionelle Unterstützung: Bettina Dornberg & Christoph Berdi (die „Identitätsstifter“)